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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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zurückgeworfen. Es ist ein Geisterschiff, kein Mensch scheint das Boot zu steuern. In diesem Moment schreit Anne laut um Hilfe. Sie hat die Jacht bemerkt und rudert verzweifelt mit den Armen. »Tauch einfach ab!«, will er rufen, doch die Stimme versagt ihm. Inzwischen hat das blutrote Wasser seine Hüfte erreicht. Die Beine knicken ihm weg. Er wirft sich nach vorn und beginnt zu schwimmen. Doch er hat das Schwimmen verlernt. Als er mit weit aufgerissenen Augen nach unten in die warme Flut driftet, dem sicheren Tod entgegen, sieht er, dass das Boot direkt auf Anne zuhält und mit seiner ganzen Wucht ihren Körper erfasst …
    Francks harter Handgriff an seiner Schulter holte LaBréa aus seinen schmerzhaften Erinnerungen.
    »Er ist der Mörder Ihrer Frau? Woher wissen Sie das, Chef?«
    »Gilles hat es mir vorhin am Telefon gesagt. Er hat die DNA aus der Bankräubermaske durchs Register laufen lassen. Am Tatort in der Praxis meiner Frau wurden seinerzeit keine Fingerabdrücke gefunden, aber DNA-Spuren sichergestellt. Von ihm!« Er deutete mit dem Zeigefinger auf den Geiselnehmer. Erneut wollte er sich auf ihn stürzen. Franck hielt ihn fest.
    »Ganz ruhig, Chef!« Francks Stimme war leise. »Ich kann gut verstehen, was Sie empfinden. Doch es …«
    »Nein, das können Sie nicht! Niemand kann das, der das nicht erlebt hat! Erst ermordet er meine Frau, dann bringt er meine Freundin in seine Gewalt. Ich, ich …« LaBréa brach ab, und ein schluchzender Laut drang heiser aus seiner Kehle.
    »Kommen Sie, wir gehen ein paar Schritte.« Franck legte den Arm um LaBréa, der sich zu fassen versuchte, und führte ihn weg.
    Jean-Marc, der den Worten seines Chefs atemlos gelauscht hatte, bezog neben dem Geiselnehmer Posten. Der lag noch immer am Boden und spuckte Blut aus. Seine Stimme klang, als hätte er den Mund voller ausgeschlagener Zähne, als er LaBréa zurief: »Das wirst du bereuen, du Drecksack! Ich kenne meine Rechte! Einen wehrlosen Mann zusammenschlagen, dafür kommst du in den Knast!«
    »Halt’s Maul«, herrschte Jean-Marc ihn scharf an. »In den Knast kommt hier nur einer. Und was heißt denn ›zusammenschlagen‹? Von uns hat niemand was gesehen. Du bist bei deinem Fluchtversuch voll gegen den Baum gekracht, du Idiot.« Jean-Marc grinste grimmig, und auch Franck konnte sich ein schadenfrohes Feixen nicht verkneifen, als er LaBréa zum Krankenwagen begleitete.
    Céline lag bereits auf der Trage. Der Arzt hatte eine Infusion gelegt, um Herz und Kreislauf zu stabilisieren.
    »Ich komme mit, Docteur«, sagte LaBréa und nahm auf dem zweiten Notsitz neben der Trage im Wageninnern Platz. Céline hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Eine Welle von Liebe und Dankbarkeit durchströmte LaBréa. Nie hatte er sich Céline so nah gefühlt, nie hatte er sie so geliebt. Es war, als wäre sie ihm neu geschenkt worden. Er beugte sich über sie und küsste sie zart auf die Stirn. Die Türen schlossen sich, und der Krankenwagen setzte sich in Bewegung.
    LaBréa betrachtete seine blutverschmierte Hand. Der Arzt, der neben ihm saß, warf einen kurzen Blick darauf und sagte: »Sind Sie verletzt?«
    »Keine Ahnung. Aber die Knöchel tun höllisch weh.«
    »Ich sehe mir das nachher mal an. Wenn wir im Krankenhaus sind.« Wie beiläufig fügte er hinzu: »Ich hab gehört, wer der Kerl ist, den Sie da geschnappt haben. Mit dem habe ich kein Mitleid!«
    LaBréa bemerkte das kurze, konspirative Lächeln auf dem Gesicht des Arztes und verstand. Dieser Mann würde nicht bezeugen, dass ein Commissaire der Brigade Criminelle die Contenance verloren und einen wehrlosen Gefangenen misshandelt hatte.
    Es war fünf Uhr morgens, als sie das Krankenhaus erreichten. Céline wurde gründlich untersucht. Das Kind in ihrem Bauch lebte, und alle Werte erwiesen sich als normal. Noch konnte niemand sagen, ob die Stresssituation der Mutter Schäden an dem Ungeborenen verursacht hatte. Das würde sich erst im Lauf der Schwangerschaft, spätestens nach der Geburt herausstellen.
    Bei der gynäkologischen Untersuchung wurden keine Spuren sexueller Gewalt nachgewiesen. Der Geiselnehmer gehörte offenbar zu der Sorte perverser Täter, die sich zunächst an der Angst ihrer Opfer weideten und ihre sexuellen Handlungen möglichst lange hinauszögerten, um einen größeren Kick zu erreichen. Die Maske hatte ihn vor dem ausströmenden Gas geschützt, während Céline durch mangelnde Sauerstoffzufuhr einschlief. Wäre es nach ihm gegangen, wäre

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