Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
habe Ärzte schon immer gehasst, weil sie Probleme erfinden würden, wo gar keine existierten. Obwohl Gabriella ihm zustimmte, ließ sich nicht leugnen, dass er schlecht aussah und unentwegt hustete. Dieser heisere, krächzende Husten beunruhigte sie. Hätte sie ihre Freizeit nicht mit Steve verbracht, wäre der Professor unglücklich gewesen, weil er sich zu schwach fühlte, um sie zum Dinner auszuführen. Nun beobachtete er zufrieden, wie gut sie sich mit dem jungen Mann verstand. In den letzten Wochen war sie geradezu aufgeblüht.
Hin und wieder kam Steve in die Buchhandlung, um sie zu besuchen, und führte interessante Gespräche mit Ian Jones. Die zwei Männer schienen sich zu mögen. Darüber freute sich Gabriella. Manchmal ging sie mit den beiden und Ians Freundin essen. Wie üblich streckte sie Steve das Geld für solche Amüsements vor. Seit drei Monaten herrschte totale Ebbe auf seinem Konto, und er lebte ausschließlich von Gabbies Gehalt. Deshalb musste sie selbst auf einiges verzichten. Doch das störte sie nicht. Er dankte ihr, indem er für sie sorgte. Während sie arbeitete, kümmerte er sich um ihre Wäsche und brachte ihr Zimmer in Ordnung. Und sobald sie abends zur Tür hereinkam, liebte er sie. Meistens erwartete er sie nackt im Bett. Sie verriet ihm nicht, wie müde sie sich fühlen würde, wie lang der Arbeitstag gewesen oder dass ihr im Augenblick nicht nach leidenschaftlichen Aktivitäten zu Mute sei. Was sie für ihn tat, konnte er ihr nur mit körperlicher Liebe vergelten, und was das betraf, war er sehr großzügig.
Im Mai erzählte er ihr nichts mehr von den Firmen, bei denen er sich bewarb, und das beunruhigte sie. Anscheinend hatte er die Arbeitssuche aufgegeben, und er geriet auch nicht mehr in Verlegenheit, wenn er sie um Geld bat. Von Leihgaben war keine Rede mehr. Auf subtile Weise hatte sich die Beziehung verändert, was Gabriella irritierte. Einmal ertappte sie ihn dabei, wie er ihre Handtasche durchwühlte und einfach ein paar Dollars aus ihrer Börse nahm. Von da an versteckte sie ihr Geld. Am 1. Juni wurde ihr bewusst, dass sie seit sechs Monaten seine Miete bezahlte. Sie schlug ihm vor, sein Zimmer zu kündigen und in ihres zu ziehen.
»Nein, das wäre zu peinlich«, protestierte er. »Dann wüssten alle, dass ich von deinem Geld lebe. Außerdem würde es deinem Ruf schaden.«
Aber sie verdiente zu wenig, um seinen Lebensunterhalt weiter zu bestreiten. Nachdem sie wieder einmal seine Miete bezahlt hatte, konnte sie ihre Kleider nicht aus der Reinigung holen, weil ihr das Geld dafür fehlte. Behutsam empfahl sie ihm, sich einen Job als Kellner zu suchen.
»Behauptest du etwa, ich wäre ein Gigolo?«, erwiderte er wütend.
Zerknirscht senkte sie den Kopf. »Natürlich nicht. Aber ich kann's mir einfach nicht länger leisten, für dich aufzukommen.« Das musste sie klarstellen, obwohl es ihr unangenehm war. Sie fühlte sich elend. Und Steve schien zu glauben, sie wäre
ihm
etwas schuldig, nicht er
ihr.
»Bildest du dir tatsächlich ein, du kommst für mich auf?«, schrie er. »Wie kannst du es wagen! Dieses Geld
leihst
du mir nur.«
»Das weiß ich, Steve. Tut mir Leid. Es ist nur – so viel verdiene ich nicht. Deshalb musst du endlich einen Job annehmen – irgendeinen.«
»Ich habe nicht in Yale und Stanford studiert, um Kellner zu werden.«
»Nun, ich war am Columbia College. Trotzdem habe ich im Baum's Restaurant gearbeitet, weil ich von irgendwas leben musste.«
Das musste er auch. Und er ließ Gabriella dafür bezahlen. Jedes Mal, wenn das Thema angeschnitten wurde, weckte er Schuldgefühle in ihr. Schließlich drängte sie ihn nicht mehr, einen Job zu suchen. Stattdessen schrieb sie ein paar Geschichten und schickte sie an mehrere Verlage, die kein Interesse zeigten.
Kurz nachdem sie die letzte Absage erhalten hatte, sah sie Steve wieder einmal in ihrer Handtasche kramen. Als sie aus dem Bad in ihr Zimmer zurückkehrte, hielt er fast ihr ganzes Monatsgehalt in der Hand.
»Was willst du damit machen?«, rief Gabriella erschrocken. »Ich habe deine Miete noch nicht bezahlt.«
»Keine Bange – das kann warten. Glücklicherweise vertraut uns Mrs Boslicki. Ich bin jemandem ein bisschen Geld schuldig.«
»Wofür?«, fragte sie, den Tränen nahe. Allmählich war sie der Situation, in die er sie gebracht hatte, nicht mehr gewachsen. Sie fühlte sich nun wie in einem Albtraum, der sie zu verschlingen drohte. »Wem bist du was schuldig?«
Wie immer, wenn sie ihm ins
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