Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Vielleicht konnte sie die Pensionswirtin bitten, ihn hinauszuwerfen. Wenn sie seine Miete nicht bezahlte, würde er kein Geld dafür aufbringen. Aber bis er das Haus verließ, mochten Wochen vergehen. So lange würde sie seine Anwesenheit nicht verkraften.
Gegen Mittag ging sie nach Hause. Wie erwartet traf sie niemanden an, und sie eilte sofort in Theodores Zimmer. Da sie glaubte, sie wäre allein im Haus, ließ sie die Tür offen. Sie setzte sich an den Schreibtisch, sperrte das Schubfach auf und nahm die Papiere heraus. Diesmal studierte sie das belastende Material in allen Einzelheiten, und ihr Abscheu vor Steve wuchs. So viele falsche Namen, so viele Betrügereien, so viele Frauen, die er in verschiedenen Staaten bestohlen hatte ... Innerhalb weniger Jahre war er erstaunlich aktiv gewesen. In ihre Lektüre vertieft, hörte sie die Schritte zu spät. Erschrocken drehte sie sich um und sah einen lächelnden Steve auf der Schwelle stehen. »Zählst du dein Geld, Gabbie? Oder hoffst du etwa, noch mehr zu finden? Sei bloß nicht zu gierig, Baby ...« In seinen Augen erschien ein seltsamer Ausdruck. Sie spürte, wie alles Blut aus ihren Wangen wich, und war unfähig, sein Lächeln zu erwidern.
»Oh – ich wollte nur Theodores Sachen ordnen. Ian gibt mir heute Mittag etwas länger frei.« Schweigend schlenderte er zu ihr. Hatte er den Lunch mit seinen Freunden abgesagt? Oder war auch das eine Lüge? Hatte er ihr eine Falle gestellt, weil er wusste, was sie lesen würde?
»Interessant, nicht wahr?«, fragte er und zeigte auf die Briefe. Also hatte er sie schon einmal gesehen.
»Keine Ahnung, was du meinst ...« Möglichst beiläufig rückte sie eines der Papiere zurecht, um die anderen zu verbergen.
»Doch, das weißt du sehr gut. Hat er's dir vor seinem Tod erzählt? Oder bist du erst jetzt auf dieses Zeug gestoßen?« Er war in die Pension zurückgekehrt, um nach solchen eventuellen Kopien zu suchen. Natürlich – der alte Bastard hatte sich abgesichert.
»Und was glaubst du, was ich gefunden habe?« Nun spielte sie Katz und Maus mit ihm.
»Meine kleine Biografie. Der Professor hat gründliche Nachforschungen angestellt. Da gibt's noch mehr. Aber ich nehme an, er hat alle Höhepunkte zusammengekriegt.« Offenbar war Steve sogar stolz auf seine Missetaten. Ihr Magen drehte sich um. »Er hat mich in eine kurze Diskussion verwickelt. An dem Tag, wo er – eh – zusammenbrach.« Jetzt glühte ein eigenartiges Feuer in seinen Augen.
»Das war
dein
Werk, nicht wahr, du mieser Schuft?« Noch nie hatte sie jemanden so genannt. Aber er verdiente es. »Hast du ihn geschlagen? Oder gestoßen? Wie ist es passiert?« Das musste sie herausfinden.
»Oh, er hat's mir sehr leicht gemacht. Der alte Narr regte sich schrecklich auf, und ich half nur ein bisschen nach. Jetzt verstehe ich, warum er so besorgt um dich war. Weil du seine Erbin bist. Welch ein Glücksfall, nicht wahr? Für uns beide. Oder hast du's schon die ganze Zeit gewusst? War deine Verblüffung vor unseren Mitbewohnern reine Heuchelei?«
»Natürlich wusste ich nichts. Wie sollte ich?«
»Nun, vielleicht hat er's dir gesagt.«
»Nein, ich hab's erst bei der Testamentseröffnung erfahren. Selbstverständlich werde ich die anderen über deine diversen Delikte informieren«, fügte sie herausfordernd hinzu, in der festen Überzeugung, die Gerechtigkeit würde das Böse besiegen. Sobald man die Wahrheit kannte, musste man sich einfach nur behaupten, und der Teufel würde flüchten. Aber nicht
dieser
Teufel. Und ihre Mutter war damals auch nicht geflohen. Das bedachte Gabriella in diesem Augenblick nicht. »Dann werden wir die Polizei verständigen. An deiner Stelle würde ich möglichst schnell die Stadt verlassen. Oder du wirst es bitter bereuen.« Zitternd vor Wut, starrte sie ihn an. Es gab keinen Zweifel – er hatte den Professor getötet – direkt oder indirekt.
»Gar nichts wirst du der Polizei erzählen«, erwiderte er seelenruhig. »Stattdessen werde
ich
behaupten, du hättest von deinem Erbe gewusst und mich mehrmals aufgefordert, den armen Professor zu ermorden. Natürlich weigerte ich mich und tat mein Bestes, um dir diesen schrecklichen Plan auszureden. Da hast du mir Geld angeboten – die Hälfte des gesamten Vermögens. Dreihunderttausend Dollar. Ziemlich überzeugend. Ich musste nur mit dem Professor reden. Da erlitt er einen Schlaganfall. Man wird dich wegen Anstiftung zum Mord verurteilen. Und wenn ich als Kronzeuge aussage, kann mir
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