Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
Vom Netzwerk:
Krankenblatt eintrug. An diesem Abend war Gabriella zwei Mal operiert worden – von ihm selbst und vom Chirurgen, der einen Nagel zum Einrichten ihres Ellbogens verpflanzt hatte. »Irgendwem muss sie schrecklich auf die Nerven gefallen sein.« Ein Wunder, dass sie noch lebte.
    »Vielleicht lag's an ihrer Kochkunst«, bemerkte Peter, ohne zu lächeln. Mit dieser Art von Humor munterten sie einander auf. Sie sahen zu viele schwer Verletzte – Unfallopfer, Menschen, die aus dem Fenster gesprungen und trotzdem am Leben geblieben waren, brutal zusammengeschlagene Frauen. Was Peter am meisten hasste, war der Anblick misshandelter Kinder. In der Notaufnahme verlor ein junger Doktor sehr schnell seine Illusionen.
    »Haben die Bullen das Mädchen schon gesehen?«, fragte der plastische Chirurg beiläufig und gab Peter das Krankenblatt zurück.
    »Nachdem wir den Arm gerichtet hatten, wurde sie mehrmals fotografiert. Besonders erfreulich dürften die Bilder nicht werden.« Wie Gabriella vor der grausamen Attacke ausgesehen hatte, wusste niemand.
    »Glaubst du, sie kommt durch?«
    Bevor Peter Mason antwortete, stieß er einen leisen Pfiff aus. Sein Kittel war immer noch voller Blut, die Liste der Blessuren schier endlos, und die Röntgenaufnahmen zeigten ältere Verletzungen – vielleicht ein Autounfall, schwer zu sagen. Was diesmal mit ihr geschehen war, hätte sie fast umgebracht. Kräftige Fußtritte hatten die Leber und die Nieren geschädigt. Kaum ein inneres Organ war unversehrt. »Ich denke, sie wird's überstehen«, erwiderte er optimistisch. Aber er zweifelte daran. Die Kopfverletzungen würden zusätzliche Komplikationen hervorrufen. Zu allem Überfluss drohte ein Auge zu erblinden.
    »Hoffentlich wird der Hurensohn, der das verbrochen hat, bald geschnappt«, seufzte der plastische Chirurg. Dann fuhr er zum Dinner nach Hause.
    »Ich vermute, es war ihr Mann«, murmelte Peter vor sich hin. So etwas kannte er. Eifersüchtige, betrunkene, wütende Ehemänner und Lebensgefährten, die ein Ventil brauchten, um Dampf abzulassen, oder ihr Ego streicheln wollten. In den letzten zehn Jahren hatte er das viel zu oft miterlebt. Er war fünfunddreißig und geschieden. Allmählich fürchtete er, verbittert zu werden. Seine Frau hatte ihn wegen seines Berufs verlassen. Fast nie war er daheim, tage- und nächtelang im Dienst. Wenn er nach Hause kam, dachte er an seine Patienten. Oder er rannte gleich wieder davon, um die Opfer eines Verkehrsunfalls zu retten. Fünf Jahre hatte sie's ertragen. Jetzt war sie mit einem plastischen Chirurgen verheiratet, der ausschließlich Gesichter verschönerte, und Peter wusste nicht, ob er's ihr verübeln durfte.
    In dieser Nacht sah er ein paar Mal nach Gabriella und stellte fest, dass sich ihr Zustand stabilisierte. Sie lag auf der Intensivstation, neben einer Frau, die aus einem Fenster im zweiten Stock gesprungen und auf zwei Kindern gelandet war. Beide hatte sie getötet. Auf der anderen Seite dämmerte ein Junkie, der nach einer Überdosis direkt vor einer U-Bahn auf die Schienen gestürzt war, dem Tod entgegen. Und Gabriella? Nur wenn sie genug Überlebenswillen besaß und aus dem Koma erwachte, würde sie's schaffen.
    Die Schwestern erzählten ihm, die Leute aus der Pension, in der sie wohnte, würden sich regelmäßig nach ihr erkundigen. Aber es gab keine Verwandten und keinen Ehemann – nur einen Freund, von dem man bis jetzt nichts gehört hatte. Peter fragte sich, ob dieser Kerl sie so grässlich zugerichtet hatte. Wahrscheinlich. Fremde Eindringlinge investierten nicht so viel Energie in ihre Überfälle. Der Typ hatte wirklich alle Register gezogen und nur versäumt, das bewusstlose Mädchen mit Benzin zu übergießen und anzuzünden.
    »Irgendeine Veränderung?«, fragte er die Dienst habende Schwester bei seinem nächsten Besuch auf der Intensivstation.
    »Keine. Sie liegt einfach nur da.«
    »Hoffentlich bleibt's vorerst dabei.« Inzwischen war es Mitternacht geworden, und er beschloss, ein wenig zu schlafen, solange es in der Klinik relativ ruhig zuging. Auf der Intensivstation arbeiteten sie in Vierundzwanzigstundenschichten, und seine hatte eben erst begonnen. »Rufen Sie mich, wenn was passiert.« Sie lächelten sich zu.
    Mit diesem Doktor arbeitete die Schwester am liebsten zusammen. Er war sehr nett. Und er sah viel besser aus, als sie es ihrem Ehemann verraten würde – mit widerspenstigem dunklem Haar und schokoladebraunen Augen. Aber er stellte sehr hohe Ansprüche.

Weitere Kostenlose Bücher