Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Und manchen Schwestern fiel es schwer, diesen Anforderungen zu genügen. Ein verdammt guter Doktor, dachte sie nicht zum ersten Mal.
Wie üblich suchte er den kleinen Raum auf, in dem er sich manchmal ausruhte. Darin wurden Medikamente und Tragen verwahrt.
Die Schwester beobachtete Gabriella während der restlichen Nacht. Kein einziges Mal bewegte sich die Patientin, und sie schien kaum zu atmen. Aber die Monitore zeigten konstante Werte. Am Morgen wurde ein weiteres Enzephalogramm vorgenommen. Alles normal. Doch sie war noch immer nicht aus dem Koma erwacht.
In der Pension herrschte eine beklemmende Stimmung. Mrs Boslicki rief regelmäßig im Krankenhaus an und informierte ihre Mieter über Gabriellas Zustand. Noch nie war in ihrem Haus etwas so Schlimmes geschehen, abgesehen von Professor Thomas' Schlaganfall. Steve Porter war in dieser Nacht nicht heimgekommen. Am nächsten Morgen teilte Mrs Boslicki der Polizei mit, er sei immer noch verschwunden. Die Beamten hatten am Vorabend alle Hausbewohner verhört und ausführlich nach Steve befragt. Verblüfft stellten sie fest, wie wenig sie über ihn wussten. Nur dass er in Stanford und Yale studiert hatte, seit acht Monaten in der Pension lebte, erfolglos einen Job suchte und mit Gabriella befreundet war. Das war alles. Um Nachforschungen anzustellen, hatten die Polizisten Mrs Boslickis telefonische Notizen mitgenommen, die sie in der Küche verwahrte. Bis zu diesem Morgen hatten sie keine neuen Erkenntnisse gewonnen.
Am Nachmittag rief Mrs Rosenstein im Krankenhaus an und erfuhr deprimierende Neuigkeiten. An Gabriellas Zustand hatte sich nichts geändert, und Dr. Masons Stimme klang nicht besonders optimistisch. Man könne nur »vorsichtige« Prognosen stellen, was immer das bedeuten mochte. Die Patientin lag weiterhin im Koma. Mehr gab es nicht zu sagen. Er versprach, in der Pension anzurufen, falls irgendetwas geschah. An diesem Nachmittag hatte er dienstfrei. Aber der Arzt, der die nächste Schicht übernehmen sollte, rief an und verkündete, die Wehen seiner Frau hätten begonnen. Nun wollte er in der Entbindungsstation bleiben und die Geburt seines ersten Kindes miterleben. Steve erklärte sich bereit, für ihn einzuspringen – was weitere vierundzwanzig Stunden bedeutete, die er in der Klinik verbringen musste. Daran war er gewöhnt. Er hatte ohnehin nichts anderes zu tun. Wegen solcher zusätzlicher Schichten war damals seine Ehe gescheitert.
Aus der Kantine zurückgekehrt, fragte er am Empfang: »Irgendwas Besonderes?« Zwei neue Fälle, ein zehnjähriger Junge mit schweren Verbrennungen und eine 86-jährige Frau, die eine Marmortreppe hinabgefallen war. Mit anderen Worten, nichts Außergewöhnliches.
Eher routinemäßig als hoffnungsvoll schaute er nach Gabriella. Einige Minuten lang beobachtete er die Monitore. Dann untersuchte er die Patientin behutsam. Da sah er ihr Gesicht schmerzlich zucken und hielt sofort inne.
Ein paar Minuten später berührte er sie wieder, und ihr Gesicht zuckte erneut. Ob sie allmählich aus dem Koma erwachte oder ob es sich nur um einen Reflex handelte, ließ sich nicht feststellen. Er warf einen Blick auf das Krankenblatt, las den Namen der jungen Frau und neigte sich zu ihr. »Gabriella? Öffnen Sie die Augen, wenn Sie mich hören.« Nichts. Er schloss ihre Hand um seinen Zeigefinger. »Verstehen Sie mich? Drücken Sie meinen Finger.« Eine Zeit lang wartete er. Schließlich wollte er seinen Finger zurückziehen. Doch da spürte er eine leichte Bewegung. Also war seine Stimme zu ihr gedrungen.
Triumphierend lächelte er sie an, obwohl sie's nicht sah. Das waren die Erfolge, für die er lebte – für die er seine Ehe aufgegeben hatte. Viel war es nicht, aber es machte sein Leben lebenswert. Nach einer kurzen Pause versuchte er es noch einmal, und diesmal erschien ihm die Bewegung etwas kräftiger. »Können Sie die Augen öffnen?«, fragte er leise. »Oder ein bisschen blinzeln? Das würde ich gern sehen.«
Zunächst geschah nichts. Dann flatterten die Lider. Aber sie schlug ihre Augen nicht auf. Immerhin hatte sie seine Stimme wahrgenommen, der innere Gehirnlappen schwoll nicht mehr an. Jetzt mussten sie sich an die Arbeit machen. Er winkte zwei Schwestern zu sich und erklärte ihnen, was geschehen war. »Reden Sie mit ihr und warten Sie ab – vielleicht passiert irgendwas. Später komme ich noch einmal zu ihr.«
Er untersuchte die alte Frau, die die Marmortreppe hinabgestürzt war und sich in erstaunlich gutem
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