Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
mitten unter uns gelebt!« Was die alten Leute am meisten erschütterte, war der Mordanschlag auf Gabriella und der Verdacht, Steve Porter könnte Professor Thomas' Tod verschuldet haben.
Gabriella hatte nichts von Steve gehört, und sie hoffte, er würde sich nie mehr bei ihr melden. Allein schon der Gedanke, dass sie mit ihm geschlafen und seinen Lebensunterhalt bestritten hatte, drehte ihr den Magen um. Vielleicht würde sie ihm eines Tages im Gerichtssaal gegenüberstehen. Er würde nur Lügen über sie erzählen. Aber dann wäre sie sicher wieder gesund – und stark genug, um sich zu verteidigen.
Voller Sorge hatte Ian Jones aus der Buchhandlung angerufen und erklärt, sie könne so lange fernbleiben, wie es nötig wäre. Trotz ihres Erbes wollte sie weiterhin für ihn arbeiten. Sie liebte den Job, und an den Abenden würde sie genug Zeit für ihre schriftstellerische Tätigkeit finden. Vorerst würde sie ihr Zimmer in Mrs Boslickis Haus behalten. Nachdem Steve verschwunden war, würde sie sich unter dem Dach ihrer freundlichen Vermieterin völlig sicher fühlen.
»Nun, was haben Sie in meiner Abwesenheit getrieben?«, fragte Peter, als er sie untersucht hatte. »Ein Dinner? Eine Tanzparty? Das Übliche?«
»Klar – das Übliche. Jemand hat mein Haar gewaschen, und ich darf noch immer nicht ins Bad gehen«, erwiderte sie lachend – erfreut über jeden einzelnen kleinen Sieg, der ihrer Genesung nützte.
»Das werden wir ändern.« Er nahm eine Eintragung im Krankenblatt vor, dann inspizierte er ihren gebrochenen Arm und das Resultat der plastischen Chirurgie. Hoch zufrieden nickte er ihr zu. Sie befand sich eindeutig auf dem Weg der Besserung. Schließlich stellte er eine Frage, die ihn seit dem Studium der Röntgenaufnahmen beschäftigte. »Waren Sie mal in einen Autounfall verwickelt, Gabbie? Offenbar haben Sie sich schon mehrmals die Rippen gebrochen.« Außerdem hatte er alte Narben in ihrer Kopfhaut entdeckt.
»Mehr oder weniger«, entgegnete sie vage, und in ihren Augen erschien ein eigenartiger Ausdruck. Er spürte, wie sie sich verschloss. Offenbar hütete sie viele Geheimnisse.
»Was für eine interessante Antwort! Darüber sollten wir mal irgendwann reden.« Nun musste er sich um andere Patienten kümmern.
Am Abend überreichte er ihr eine Flasche Gingerale. Für sich selbst hatte er eine Tasse Kaffee mitgebracht. »Ich wollte noch mal nach Ihnen sehen. Gerade habe ich in der Kantine gegessen. Dort halten sie eine Magenpumpe bereit, falls sie jemanden vergiften. Dieses Ding benutzen wir jeden Abend mindestens vier Mal.« Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, und Gabriella lachte mit ihm. Aber er sah müde aus. Wie hart er arbeitete, wusste sie mittlerweile.
Er erkundigte sich nach ihrer Schriftstellerei und ihrer Ausbildung. Dann erzählte er ihr, er würde aus dem Südwesten stammen. Dass er einem Cowboy glich, war ihr bereits aufgefallen. Mit langen federnden Schritten eilte er umher, und sie hatte Cowboystiefel unter seinem Arztkittel gesehen.
Nachdem die Schwellungen in ihrem Gesicht zurückgegangen waren, bewunderte er ihre blauen Augen. Wie er vermutet hatte, sah sie zauberhaft aus. Und so jung. Gleichzeitig wirkte sie uralt. In dieser Frau vereinten sich seltsame Kontraste. Immer wieder bemerkte er eine abgeklärte Weisheit und Wehmut in ihrem Blick, der ihn faszinierte. An der Melancholie gab er Steve Porter die Schuld. Behutsam versuchte er, sie auszuhorchen. Aber sie wollte nicht über dieses Thema reden. Eine der Schwestern hatte ihm den Zeitungsartikel gezeigt. Darauf wies er Gabriella nicht hin.
»Und wo sind Sie aufgewachsen?«, fragte er beiläufig und nippte an seinem Kaffee.
»Hier, in New York.« Das Kloster erwähnte sie nicht.
An diesem Abend fanden sie heraus, dass sie beide Einzelkinder waren. Peter hatte an der Columbia Medical School studiert, Gabriella am Columbia College – eine weitere Gemeinsamkeit. Ansonsten gab es nur Unterschiede. Er war umgänglich und offenherzig und hatte die Grausamkeit mancher Menschen oft genug beobachtet, aber nie am eigenen Leib zu spüren bekommen. An Gabbie erweckte irgendetwas den Eindruck, sie müsste viel mehr erlebt haben, als es ihrem Alter entsprach. Die Tür zu ihrer Seele war verschlossen. Wo er den Schlüssel suchen sollte, wusste er nicht.
Zufällig erzählte er von einem Schulfreund, der Priester geworden war und mit dem er immer noch in Verbindung stand. Lächelnd hörte sie zu, und er glaubte, sie würde sich
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