Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
beobachtet hatte. Die beiden wirkten so jung und unschuldig. Von einer sonderbaren Furcht erfasst, hatte die Oberin am Fenster ihres Zimmers gestanden und Gabriellas unbefangenes Lächeln gesehen. Irgendwie waren sich das Mädchen und der Priester ähnlich.
Nachdenklich kehrte Mutter Gregoria an ihren Schreibtisch zurück, nachdem sich der Priester von Gabriella verabschiedet hatte. Als sie das Mädchen abends im Speisesaal traf, sagte sie nichts. Gabriella war so glücklich im Kreis der Nonnen. Sicher bestand kein Grund zur Sorge. Und doch – irgendetwas schürte jene merkwürdige Angst in Mutter Gregorias Herzen, obwohl sie sich einredete, das sei reiner Unsinn.
Die darauf folgende Woche kam Vater Connors nicht ins Kloster. Ein anderer Priester übernahm seine Aufgaben. Erst am Karsamstag erschien er wieder im St. Matthew's und verbrachte den ganzen Nachmittag im Beichtstuhl. Die Nonnen freuten sich, ihn wiederzusehen, denn sie wussten seinen Humor zu schätzen. Wenn er ihnen die Beichte abnahm, hatten sie stets das Gefühl, ihre Sünden wären gar nicht so tragisch. Schwester Emanuel sprach gerade mit der Lehrerin der Novizinnen, als er sich hinzugesellte.
»Kommen Sie morgen zum Lunch, Vater Connors?«, fragte Schwester Immaculata, die Lehrerin der Novizinnen, mit einem schüchternen Lächeln. Früher war sie eine Schönheit gewesen. Seit vierzig Jahren trug sie den Schleier.
»Sehr gern«, antwortete er erfreut. Er liebte die alten Nonnen, ihr scheues Wesen, ihren scharfen Verstand, der ihn stets von neuem überraschte. Aus ihren Gesichtern strahlte tiefer innerer Frieden. Von weltlichen Kümmernissen unbehelligt, wirkten die meisten jünger, als sie waren. Das behütete Leben hinter den Klostermauern hatte ihnen viel Leid erspart.
»Dieses Jahr kochen die Postulantinnen und Novizinnen das Ostermahl. Das bereiten sie schon seit gestern Abend vor – und sie arbeiten wirklich sehr hart«, verkündete Schwester Emanuel, voller Stolz auf ihre Schützlinge, die ihr alle Ehre machten. Sie brieten Truthähne und pökelten Schinkenkeulen. Aus dem Klostergarten stammten die Beilagen – Mais, Kartoffeln und frische Erbsen. Für die Süßspeisen waren die älteren Nonnen zuständig, die seit dem frühen Morgen in der Küche Kuchen backten.
»Oh, ich kann's kaum erwarten.« Am nächsten Tag würden ihn drei andere Priester ins St. Matthew's begleiten. Außerdem würden die Verwandten einiger Nonnen das St. Matthew's besuchen. Dieses Jahr war das Wetter so schön, dass Mutter Gregoria ein Picknick im Garten plante, wo man lange Tische aufstellen würde. »Soll ich etwas mitbringen?«, erbot sich Vater Connors. »Einige Mitglieder unserer Gemeinde haben uns etliche Kisten Wein geschenkt.«
»Ja, das wäre wundervoll«, erwiderte Schwester Immaculata entzückt. Darüber würden sich die Gäste freuen. Die Oberin erlaubte den Nonnen nur selten, Wein zu trinken. Wenn sie ihre Familien besuchten, gönnten sie sich hin und wieder ein Gläschen. Aber im Kloster verzichteten sie meistens auf Alkohol. Nur den Priestern servierte Mutter Gregoria hin und wieder einen Drink. »Vielen Dank für Ihr Angebot.« Beide Schwestern verabschiedeten sich lächelnd von Vater Connors, und am nächsten Tag transportierte er in seinem Auto mehrere Kisten mit erlesenen kalifornischen Weinen zum St. Matthew's.
Mühelos trug er sie in die Küche und übergab sie der älteren Nonne, die hier die Aufsicht führte. Während er amüsiert beobachtete, wie die Postulantinnen und Novizinnen geschäftig umhereilten, stiegen ihm köstliche Düfte in die Nase. Sicher würde er das Picknick, das nach der Ostermesse stattfinden sollte, in vollen Zügen genießen.
An diesem hohen Feiertag zelebrierten alle vier Priester gemeinsam die Messe. Dicht gedrängt saßen die Schwestern und ihre Angehörigen in den Kirchenbänken. Einige Verwandte hatten ihre Kinder mitgebracht. Nach der langen Fastenzeit waren das Kruzifix hinter dem Altar und die Bilder des Kreuzgangs enthüllt worden. In bester Stimmung wurde die Auferstehung des Herrn gefeiert, und nach dem Gottesdienst versammelten sich alle im Garten.
Während Mutter Gregoria die Gäste begrüßte und die Hände alter Freunde schüttelte, stellten die Postulantinnen und Novizinnen große Tabletts auf die Tische. Als Vater Connors beobachtete, wie Gabriella und Schwester Agatha eine Platte voller Schinkenkeulen aus der Küche schleppten, bot er ihnen seine Hilfe an. Er nahm ihnen die schwere Last ab und
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