Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Kloster getrieben, litt sie an ausgeprägten Minderwertigkeitskomplexen. »Heute Morgen im Speisesaal hast du ihn dauernd beobachtet. Wenn du's Schwester Emanuel nicht gestehst, sag ich's ihr.«
Da erhob sich Gabriella zu ihrer vollen Größe und funkelte wütend auf Anne hinab. »Du sprichst von einem Priester, einem Mann, der sich dem Herrn geweiht hat, der die Messe für uns liest und unsere Beichten hört. So etwas auch nur zu
denken
, ist eine Sünde. Damit beleidigst du nicht nur mich, sondern ebenso Vater Connors und sein Amt.«
»Er ist auch nur ein Mann, so wie alle anderen. Und die denken nur an das eine. Von solchen Dingen verstehe ich mehr als du.« Anne wusste, welch ein behütetes Leben Gabriella seit vielen Jahren im St. Matthew's Convent führte. Sie selbst hatte ihre Hochzeit vorbereitet, sich mit all den Dingen beschäftigt, die dazugehörten – bis der Bräutigam mit ihrer besten Schulfreundin davongerannt war. Von zynischer Bitterkeit erfüllt, glaubte sie, viel mehr über die Welt zu wissen als Gabriella, die immer noch reine Unschuld ausstrahlte.
»Was du da sagst und denkst, ist widerwärtig. Das würde dir auch Schwester Emanuel erklären. Wie du das alles meinst, weiß ich nicht. Jedenfalls würde ich so etwas nie von einem Priester behaupten. Vielleicht solltest du wirklich mit Schwester Emanuel über deine seltsamen Gedanken reden. Und ich finde, ein bisschen mehr Glaube und Nächstenliebe wären angebracht.«
Immer noch empört, wandte sich Gabriella wieder ihrem Basilikumbeet zu, und während des restlichen Nachmittags wechselten die beiden jungen Postulantinnen kein einziges Wort mehr. Schließlich ging Anne in den Speisesaal, um den langen Refektoriumstisch zu decken. Gabriella arbeitete noch eine Weile im Garten. Als sie ihr Zimmer aufsuchte, um sich die Hände zu waschen und zu beten, hatte sie ihre Fassung zurückgewonnen. Jetzt war sie wieder besser gelaunt. Hätte sie über Annes Anschuldigungen gegen Vater Connors nachgedacht, wäre sie sicher erneut in Wut geraten. In diesem Mann sah sie die personifizierte christliche Gesinnung. Seiner Güte und Herzenswärme müssten alle Nonnen nacheifern. Gabriella verehrte ihn. Allein schon der Gedanke, sie könnte mit ihm »geflirtet« haben, erschien ihr ungeheuerlich.
Die Bewohnerinnen des St. Matthew's Convent verbrachten ein friedliches Wochenende. Nach der Messe am Palmsonntag nahmen sie den Lunch im Garten ein. Als Gabriella später zum Haus zurückkehrte, geweihte Palmkätzchen in der Hand, schlenderte der junge Priester zu ihr. »Guten Tag, Schwester Bernadette. Wie ich höre, haben Sie die ganze Woche Gemüse gepflanzt. Von Kräutern und Tomaten verstehen Sie angeblich besonders viel. Bitte, schicken Sie uns doch was in die St. Stephen's School.« Seine fröhlichen Augen leuchteten so blau wie der Aprilhimmel.
Unschuldig lächelte sie ihn an. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Schwester Emanuel. Sie erklärte mir, Sie seien die beste Gemüsegärtnerin vom St. Matthew's.«
»Deshalb durfte ich wahrscheinlich so viele Jahre hier bleiben«, scherzte sie. Ziellos begannen sie, durch den Garten zu wandern.
»Nun, ich glaube, dafür gibt's noch andere Gründe.« Bei jedem seiner wenigen Besuche im Kloster hatte er festgestellt, wie innig die älteren Schwestern Gabriella liebten. Und er hatte auch erfahren, dass sie seit ihrer Kindheit unter Mutter Gregorias besonderem Schutz stand. Während sie ihm einige Beete zeigte, die sie bepflanzt hatte, musterte er Schwester Bernadette verstohlen und verstand, warum sie den Nonnen so viel bedeutete. Abgesehen von ihrer Schönheit und anmutigen Haltung strahlte sie eine stille Würde aus, eine Güte und Sanftmut, die jedes Herz bewegen mussten. Wie bezaubernd sie aussah, wusste sie nicht, denn solchen Dingen maß sie keinerlei Bedeutung bei. Sogar einem Priester fiel es leicht, die junge Frau zu bewundern. Sie glich einem kostbaren Gemälde, einer vollkommenen Statue, einem Kunstwerk, das man unverwandt betrachten wollte. Aber am stärksten faszinierte ihn das Licht, das sie von innen her zu erleuchten schien, mit unwiderstehlicher Kraft, und er sagte sich, zweifellos sei es die Macht ihrer Berufung, die ihrer Schönheit einen einzigartigen Glanz verlieh.
Sie erklärte ihm, welche Gemüsesorten und Kräuter sie für das Kloster anbaute. »Wenn Sie wollen, lege ich für die St. Stephen's School eigene Beete an. Andererseits werden wir in diesem Sommer genug ernten, um es mit Ihnen zu
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