Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
beisammensaßen, freuten sie sich ihres neuen Lebens. Gabriella musterte Vater Connors und fragte sich wieder einmal, warum ein so attraktiver Mann den Beruf des Priesters gewählt hatte. Dass er ähnliche Gedanken hegte, die sie betrafen, ahnte sie nicht.
Eine Zeit lang schwiegen sie und beobachteten die Nonnen, die sich angeregt mit den Gästen unterhielten. Beiden wurde gleichzeitig bewusst, dass sie keine Angehörigen hatten – nur die Nonnen und Priester.
»Eigenartig, nicht wahr?«, bemerkte Vater Connors leise. »Keine Familie zu haben ... In den Ferien habe ich's schrecklich vermisst, jedenfalls in den ersten paar Jahren. Die Brüder im St. Mark's waren so nett zu mir. Wenn ich sie während meines Studiums im Seminar besuchte, stand ich stets im Mittelpunkt, und Bruder Joseph, der Leiter von St. Mark's, ersetzte mir den Vater.« Auch in dieser Hinsicht hatten sie etwas gemein, denn Gabriella betrachtete die Oberin als ihre Mutter.
»Bei meiner Ankunft im St. Matthew's war ich erst mal nur froh, dass ich nicht mehr verprügelt wurde.«
Das konnte er sich vorstellen, weil er als junger Kaplan in einer Klinik gearbeitet hatte und oft den Tränen nahe gewesen war beim Anblick der Verletzungen, die manche Eltern ihren Kindern zufügten. »Hat Ihre Mutter Ihnen sehr wehgetan?«
Sie nickte und starrte ins Leere. »Einmal brachte mich mein Vater ins Krankenhaus«, flüsterte sie. »Da gefiel es mir. Die Leute waren so freundlich, und ich wollte gar nicht mehr nach Hause. Doch das verschwieg ich. In meiner Angst erzählte ich niemandem, was ich durchmachen musste. Dauernd log ich, weil ich glaubte, ich müsste meine Eltern schützen – sonst würde meine Mutter mich ermorden. Dazu wär's wohl gekommen, wenn ich noch länger bei ihr gelebt hätte. Sie hasste mich.« Bedrückt schaute sie den jungen Priester an, der ihr Freund geworden war. Was sie einander anvertraut hatten, verband sie immer enger.
»Vermutlich war sie eifersüchtig«, meinte Vater Connors. Inzwischen hatte er sie gebeten, ihn Joe zu nennen. Und sie hatte ihm verraten, ihr richtiger Name würde Gabriella lauten.
Seine Erklärung erschien ihr absurd. »Wie kann man auf ein Kind eifersüchtig sein?«
In ihren Augen las er viel zu viele traurige Reminiszenzen und Fragen. »Manche Leute sind grundlos eifersüchtig. Und mit Ihrer Mutter schien irgendwas nicht zu stimmen.« Welch eine Untertreibung, dachte sie. »Wie war Ihr Vater?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, ich kannte ihn gar nicht. Seltsamerweise sehen Sie ihm ähnlich, Vater Joe – zumindest bilde ich's mir ein, nach allem, woran ich mich erinnere. Er fürchtete sich vor meiner Mutter. Kein einziges Mal hat er sie daran gehindert, mich zu schlagen.«
»Sein Gewissen muss ihn ganz schrecklich quälen. Zweifellos ist er deshalb davongerannt. Wenn sich die Menschen hilflos fühlen, tun sie sonderbare Dinge.« Beide dachten an den Selbstmord seiner Mutter. Aber Gabriella wollte keine Fragen stellen, die den Albtraum zu neuem Leben erwecken würden. »Vielleicht sollten Sie nach Ihrem Vater suchen und mit ihm über seine Beweggründe sprechen.«
Ein solches Wiedersehen malte sie sich manchmal aus, und sie fand es merkwürdig, dass Joe das Thema anschnitt. »Wahrscheinlich weiß er gar nicht, wo ich bin. Das hat ihm meine Mutter wohl kaum mitgeteilt. Einmal sprach ich mit Mutter Gregoria darüber, und sie meinte, ich sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Ich nehme an, sie hat Recht. Nachdem er mich verlassen hatte, rief er niemals an, und er schrieb mir keinen einzigen Brief.« Traurig senkte sie den Kopf. Obwohl jene Ereignisse so lange zurücklagen, schmerzte die Erinnerung immer noch.
»Das könnte Ihre Mutter vereitelt haben.« Mit dieser Theorie spendete er ihr keinen Trost. Sie beschloss, den Rat der Oberin zu befolgen. Jetzt führte sie ein anderes Leben und musste sich von den Geistern der Vergangenheit trennen – obwohl sie ihre Seele in dunklen Momenten immer noch quälten. »Wo ist sie jetzt?«, fragte der Priester.
»In San Francisco. Zumindest wohnte sie dort, bis sie aufhörte, der Oberin Geld für meinen Unterhalt zu schicken.«
Wieso hatten die Eltern jeden Kontakt zu ihr abgebrochen? Das verstand er nach wie vor nicht. »Nun, Schwester Bernie, hier geht's Ihnen gut. Und St. Matthew's braucht Sie. Alle Nonnen lieben Sie, und eines Tages wird Mutter Gregoria sogar überlegen, ob Sie später in ihre Fußstapfen treten könnten. Das wäre eine große Ehre.
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