Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
deine Information war harmlos. Damals maß ich ihr keine Bedeutung bei, und du hast die beiden grundlos verdächtigt. Sie waren nur gute Freunde, vereint in ihrem Glauben an unseren Herrn. In diesen Mauern müssen wir uns nicht mit den Problemen befassen, die der Welt da draußen vorbehalten bleiben. Jetzt musst du das alles vergessen, Schwester Anne.«
Sie tat ihr Bestes, um die junge Frau zu beruhigen, und bat sie dann, Schwester Emanuel, Schwester Immaculata und einigen anderen Nonnen auszurichten, sie mögen ins Büro kommen, sobald sie alle ihre Pflichten erfüllt hätten und die Postulantinnen schlafen gegangen wären.
Um zehn Uhr abends saß Mutter Gregoria hinter ihrem Schreibtisch und sah sich zwölf erwartungsvollen Gesichtern gegenüber. Eindringlich beschwor sie die Nonnen, die peinlichen Gerüchte zu entkräften. Sie alle würden unter der Tragödie leiden, besonders die Priester von der St. Stephen's School. Aber nun müsse man die Schwestern vor übler Nachrede schützen, und es sei sinnlos, irgendwelche Einzelheiten zu klären oder die Flammen eines potenziellen Skandals zu schüren. Ganz im Gegenteil – es sei die Pflicht der Nonnen, das Flüstern des Teufels verstummen zu lassen. Die energische Stimme der Oberin duldete keinen Widerspruch. Als sie nach Gabriellas Verbleiben gefragt wurde, gab sie die gleiche Antwort wie zuvor der jungen Postulantin. Schwester Bernadette sei an einer Blinddarmentzündung erkrankt. In ein paar Tagen, wenn sie sich erholt habe, würde sie zurückkehren.
»Aber die Gerüchte beruhen auf Tatsachen, nicht wahr?« Schwester Mary Margaret, die älteste Nonne des Klosters, zögerte nicht, ihrer jüngeren Oberin eine solche Frage zu stellen. »Angeblich waren Schwester Bernadette und Vater Connors ein Liebespaar.« Wenigstens wusste niemand von Gabriellas Schwangerschaft, und Mutter Gregoria dankte dem Himmel für diese Gnade. »Ist es möglich? Hat er sich umgebracht? Heute Morgen kannten die Schwestern keinen anderen Gesprächsstoff.«
»Das muss ein Ende nehmen«, erwiderte Mutter Gregoria in strengem Ton. »Was zu Vater Connors' Tod geführt hat, weiß ich nicht und ich will es gar nicht herausfinden. Kümmern Sie sich nicht mehr darum. Er hat sich in die Hände Gottes begeben, die uns alle eines Tages aufnehmen werden. Wie er dorthin gelangt ist, müssen wir nicht wissen. Beten wir einfach nur für seine Seele. Was zwischen Vater Connors und Schwester Bernadette geschah, ist sicher belanglos. Zwei intelligente, unschuldige junge Menschen fühlten sich irgendwie zueinander hingezogen – wahrscheinlich ohne es zu bemerken. Jetzt will ich nichts mehr davon hören. Ist das klar?« Durchdringend schaute sie die Schwestern der Reihe nach an. »Die Gerüchte müssen verstummen. Um sicherzugehen, habe ich einen Entschluss gefasst. Für die nächsten vierzehn Tage werden Sie ein Schweigegelübde ablegen. Ab morgen früh darf zwei Wochen lang kein Wort über Ihre Lippen kommen. Wenn wir dann wieder miteinander sprechen, wollen wir nur noch erbauliche Themen anschneiden.«
»Ja, Mutter Gregoria«, antworteten sie einstimmig.
Bei ihren kategorischen Anweisungen hatte die Oberin vor allem an Gabriella gedacht. Sie liebte ihren Schützling immer noch viel zu sehr, um seinen Namen im Zusammenhang mit einem Skandal zu hören, der einen jungen Priester in den Tod getrieben hatte.
Zum Glück wusste niemand außer der Oberin, Vater O'Brian und Vater Dimeola von Gabbies Schwangerschaft. Natürlich waren die beiden Priester, die den Zusammenbruch beobachtet hatten, ebenso wie Mutter Gregoria bestrebt, die Wahrheit zu vertuschen. Selbstverständlich hatte Gabriellas hastiger Transport zur Klinik für Aufsehen gesorgt. Aber die Geschichte von der Blinddarmentzündung klang für alle plausibel.
Mutter Gregoria entließ die Nonnen und blieb noch eine Weile an ihrem Schreibtisch sitzen. Dann ging sie in die Kirche, sank auf die Knie und bat die Heilige Jungfrau um Hilfe. Jetzt ließ sie den Tränen, die sie den ganzen Tag unterdrückt hatte, freien Lauf. Sie ertrug es nicht, Gabriella zu verlieren. Sie konnte sie nicht in eine grausame Welt hinausschicken, die ihr schon so viel angetan hatte, in der sie sich nicht zurechtfinden würde. Hätten die beiden jungen Menschen doch der Stimme ihrer Vernunft gehorcht und ihre Gefühle bezwungen, ehe es zu spät gewesen war ... In ihrer Naivität hatten sie nicht erkannt, welches Risiko sie eingegangen waren. Inbrünstig betete die Oberin für
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