Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Stimmen, und Gabriella lag ganz still da, endlich von innerem Frieden erfüllt. Die Leute ließen sie in Ruhe, die Dämonen in ihrem Körper schwiegen. Nun kam Joe zurück. Aber diesmal sah er nicht glücklich aus. Er sprach mit ihr, und sie verstand seine Worte. Da sie nicht mehr gefesselt war, streckte sie eine Hand nach ihm aus. Doch er griff nicht danach.
»Nein, du darfst mich nicht begleiten«, sagte er klar und deutlich. Nicht verärgert. Nicht einmal traurig. Wie friedlich sein entspanntes Gesicht wirkte ...
»Natürlich muss ich mit dir gehen, Joe, ich brauche dich.« Sie eilte neben ihm her, und da blieb er stehen.
»Du bist stark, Gabriella.«
»Das bin ich nicht ... Ohne dich kehre ich nicht zurück ...«
Statt zu antworten, schüttelte er nur den Kopf, glitt davon, und sie spürte wieder ein beklemmendes Gewicht, das auf sie herabsank. Ein verzehrender Schmerz riss sie endgültig von Joe los. Plötzlich wusste sie, was mit ihr geschah – sie ertrank so wie Jimmy. Verzweifelt rang sie nach Atem, wurde mit dem kleinen Jungen in die Strömung gezogen und suchte ihn – doch sie fand ihn nicht. Auch er hatte sie verlassen, so wie Joe, und sie war allein im rauschenden Wasser. Eine gewaltige Kraft trug sie zur Oberfläche. Schreiend und prustend tauchte sie auf.
»Okay, wir haben sie zurückgeholt ...«
Aus allen Richtungen rasten die Stimmen heran, Hände packten sie. Während sie atmete, glaubte sie, jede einzelne ihrer gebrochenen Rippen zu spüren. Ihre Arme wurden wieder gefesselt. In ihrem Innern, wo die Dämonen gewütet hatten, flimmerte weiß glühende Hitze.
»Nein! Nein! Halt!« Vergeblich bemühte sie sich, die Leute anzuschreien. Dann spürte sie, wie sie irgendetwas aus ihr herausrissen. Da, wo ihr Herz gewesen war. Sie wollten ihr Joe wegnehmen. Doch das konnten sie nicht. Noch nie hatte sie solche Schmerzen empfunden. War es ihre Mutter, die ihr das antat?
»Gabriella! Gabriella!«
Jetzt sprachen sie etwas sanfter auf sie ein. Was verlangten sie von ihr? Sie konnte nur weinen – sonst nichts. Die Schmerzen, die sie ihr bereiteten, waren übermächtig, und es gab kein Entrinnen. Immer wieder riefen sie ihren Namen, und sie spürte eine Hand, die ihr Haar streichelte – eine behutsame Hand, zu der kein Gesicht gehörte. Durch einen Tränenschleier sah sie das grelle Licht. Irgendjemand befreite sie von den Dämonen.
»O Gott, das war knapp.« Eine leise Männerstimme. »Und ich dachte schon, wir hätten sie verloren.«
Beinahe hatte sie die Schwelle überquert. Obwohl sie so verzweifelt bestrebt gewesen war, vor diesen Menschen zu fliehen, lebte sie immer noch. Joes wegen war sie hier geblieben. Weil er sich geweigert hatte, sie mitzunehmen. Als sie die Augen öffnete, wusste sie, dass er nicht mehr zu ihr kommen würde. Niemals kehrten sie zurück. Sie gingen einfach weg und ließen sie allein.
»Wie fühlen Sie sich, Gabriella?«
Über ihr schwebten die Augen einer Frau. Immer noch keine Gesichter. Alle trugen Masken. Jetzt klangen die Stimmen viel ruhiger. Gabriella versuchte zu antworten. Aber kein Laut entrang sich ihrer Kehle, aus der eben noch ihre Schreie gedrungen waren. Ihr Körper war völlig leer. So wie ihre Seele.
»Sie hört mich nicht«, klagte die Stimme. Offenbar hatte sie wieder einmal versagt. Würde man sie verprügeln? Und wenn schon – solange die Dämonen nicht zurückkehrten – mit ihren messerscharfen Schwänzen, die wie Dolche in ihr Herz schnitten ...
Eine Zeit lang blieb sie allein, und sie versank wieder im Dunkel – diesmal an einem anderen Ort. Als sie erwachte, bedeckte eine Maske ihr Gesicht, die grässlich roch. Halb benommen spürte sie, wie sie auf einer Trage irgendwo hingerollt wurde. Menschen und Türen glitten an ihr vorbei, und jemand erklärte ihr, nun würde man sie in ihr Zimmer bringen.
War sie in einem Gefängnis gelandet? Würde man sie endlich für alle ihre Sünden bestrafen? Natürlich wussten diese Leute, was sie verbrochen hatte. Aber sie erwähnten es nicht. Schließlich verschwanden sie. Gabriella schlummerte wieder ein.
Irgendwann kamen zwei weiß gekleidete Frauen mit gestärkten Hauben und ernsten Gesichtern. Wortlos hoben sie Gabriella von der Trage hoch und legten sie auf ein Bett. Dann justierten sie die Infusion. Sie sagten nicht viel. Während des restlichen Tages durfte sie schlafen. Warum sie hier war, wusste sie noch immer nicht. Doch sie erinnerte sich an die Frau, die so schmerzlich geschrien und
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