Der lange Weg zur Freiheit
Geschlecht oder Glauben; und deshalb nehmen wir, die Menschen von Südafrika, schwarze und weiße, gemeinsam – als Ebenbürtige, Landsleute und Brüder – diese Freiheits-Charta an. Und wir verpflichten uns, unter Einsatz unserer ganzen Kraft und unseres Mutes, gemeinsam zu kämpfen, bis die hier genannten demokratischen Veränderungen durchgesetzt sind.
Die Charta zählt sodann die Bedingungen für ein freies, demokratisches Südafrika auf.
DAS VOLK SOLL HERRSCHEN!
Jede Frau und jeder Mann sollen das Recht haben, zu wählen und für alle gesetzgebenden Körperschaften zu kandidieren.
Alle Menschen sollen berechtigt sein, an der Verwaltung des Landes teilzuhaben.
Die Rechte der Menschen sollen die gleichen sein, ungeachtet der Rasse, der Hautfarbe oder des Geschlechts.
Sämtliche Körperschaften der Minderheitsherrschaft, beratende Gremien, Räte und Behörden sollen ersetzt werden durch demokratische Organe der Selbstregierung.
ALLE NATIONALEN GRUPPEN SOLLEN GLEICHE RECHTE HABEN!
Es soll Gleichberechtigung herrschen in den Körperschaften des Staates, in den Gerichten und in den Schulen, für alle nationalen Gruppen und Rassen.
Alle nationalen Gruppen sollen durch das Gesetz geschützt werden gegen Beleidigungen ihrer Rasse und ihres nationalen Stolzes.
Alle Menschen sollen die gleichen Rechte haben, ihre eigene Sprache zu gebrauchen und ihre eigene Volkskultur und ihre eigenen Volkssitten zu entwickeln.
Das Predigen und Praktizieren nationaler, rassischer oder farbiger Diskriminierung und Verächtlichmachung soll als strafbares Verbrechen behandelt werden.
Alle Apartheidsgesetze und -praktiken sollen abgeschafft werden.
DIE MENSCHEN SOLLEN SICH IN DEN REICHTUM DES LANDES TEILEN.
Der nationale Reichtum des Landes, das Erbe aller Südafrikaner, soll dem Volk zurückgegeben werden.
Der Erzreichtum im Boden, die Banken und Monopolindustrien sollen als Ganzes in den Besitz des Volkes übergehen.
Alle anderen Industrien und Gewerbe sollen kontrolliert werden zugunsten des Wohlergehens des Volkes.
Alle Menschen sollen die gleichen Rechte haben, nach ihrer freien Wahl ein Gewerbe zu betreiben, jegliches Handwerk und jeglichen Beruf zu ergreifen.
DAS LAND SOLLEN SICH JENE TEILEN, DIE ES BEARBEITEN!
Die Beschränkung von Landbesitz auf Rassenbasis soll ein Ende haben, und alles Land soll neu verteilt werden unter jenen, die darauf arbeiten, um Hungersnot und Landgier zu beseitigen.
Manche ANC-Mitglieder, zumal die afrikanistische Fraktion, die gegen Kommunisten und Weiße eingestellt war, opponierten gegen die Charta und kritisierten sie als einen Entwurf für ein radikal anderes Südafrika als das vom ANC während seiner gesamten Geschichte geforderte. Sie behaupteten, die Charta verlange eine sozialistische Ordnung, waren der Meinung, der COD und weiße Kommunisten hätten einen überproportionalen Einfluß auf die Ideologie der Charta ausgeübt. Im Juni 1956 wies ich in der Monatsschrift Liberation darauf hin, daß die Charta privates Unternehmertum befürworte und dem Kapitalismus erlaube, sich erstmals unter den Afrikanern auszubreiten. Die Charta garantiere, daß Afrikaner, wenn Freiheit erreicht sei, Gelegenheit haben würden, ihr eigenes Geschäft unter eigenem Namen zu betreiben, eigene Häuser und Grundstücke zu besitzen, kurz, als Kapitalisten und Unternehmer zu Wohlstand zu kommen. Das Dokument spricht nicht von Beseitigung der Klassen und des Privateigentums, befürwortet auch nicht den öffentlichen Besitz von Produktionsmitteln und folgt keinem der sonstigen Dogmen des wissenschaftlichen Sozialismus. Die Klausel, in der die mögliche Nationalisierung der Minen, der Banken und der Monopolindustrien gefordert wird, betrifft eine Maßnahme, die durchgeführt werden muß, wenn die Wirtschaft nicht ausschließlich weißen Geschäftsleuten gehören und von ihnen allein betrieben werden sollte.
Die Charta ist in der Tat ein revolutionäres Dokument, eben deshalb, weil die in ihr angestrebten Änderungen nicht verwirklicht werden können ohne radikale Veränderung der ökonomischen und politischen Struktur Südafrikas. Sie soll weder kapitalistisch noch sozialistisch sein, sondern ein komplexes Gebilde aus den Forderungen der Menschen, die verschiedenen Formen der Unterdrückung zu beenden. Um in Südafrika nur Fairneß zu erreichen, mußte man das Apartheidssystem zerschlagen, denn es war die Verkörperung der Ungerechtigkeit.
AnfangSeptember 1955
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