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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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einem halben Dutzend Armeefahrzeugen voller bewaffneter Soldaten. Aufgrund der Vorsichtsmaßnahmen, die der Staat traf, hätte man meinen können, ein regelrechter Bürgerkrieg sei im Gange. In der Twist Street blockierte eine große Menge unserer Anhänger den Verkehr; wir konnten ihre Anfeuerungsrufe und ihr Singen hören, und sie konnten hören, wie wir aus dem Polizeitransporter heraus antworteten. Die Fahrt wurde zu einer triumphalen Prozession, indes das sich nur langsam voranbewegende Fahrzeug von der Menschenmenge gleichsam geschaukelt wurde. Die Hall war von bewaffneten Polizisten und Soldaten umstellt. Die Transporter wurden hinter die Hall manövriert und so geparkt, daß wir von den Fahrzeugen direkt in den Gerichtssaal gelangten.
    Drinnen empfing uns eine weitere Menge von Anhängern, so daß die Hall eher einem aufrührerischen Versammlungsort ähnelte als einem ruhigen Gerichtssaal. Wir betraten den Saal mit erhobenem Daumen, dem ANC-Gruß, und nickten unseren Anhängern zu, die in jenem Abschnitt saßen, der nicht den Weißen vorbehalten war. Die Stimmung im Saal hatte eher etwas Festliches als Gerichtlich-Strenges, während die Angeklagten sich mit Reportern und Freunden vermischten.
    Die Regierung klagte uns 156 allesamt des Hochverrats an sowie der landesweiten Verschwörung zum gewaltsamen Sturz der gegenwärtigen Regierung, die angeblich durch ein kommunistisches Regime ersetzt werden sollte. Der in der Anklage genannte Zeitraum reichte von 1. Oktober 1952 bis zum 13. Dezember 1956. Er umschloß die Mißachtungskampagne, die Räumung von Sophiatown und den Volkskongreß. Das südafrikanische Hochverratsgesetz basierte nicht auf englischem Recht, sondern auf römisch-holländischen Vorläufern, und definierte Hochverrat als feindselige Absicht, die Unabhängigkeit oder Sicherheit des Staates zu stören, zu schädigen oder zu gefährden. Darauf stand die Todesstrafe.
    Zweck der Voruntersuchung war, darüber zu entscheiden, ob die Anklagen der Regierung ausreichten, um uns vor dem Obersten Gericht den Prozeß zu machen. Es gab zwei Stadien der Beweiserhebung. Das erste Stadium war der Gerichtshof eines Magistrates. Entschied der Magistrate, daß gegen die Angeklagten genügend Beweismaterial vorlag, so würde der Fall vor das Oberste Gericht gehen und vor einem Richter verhandelt werden. Befand der Magistrate jedoch das Beweismaterial als ungenügend, so wurden die Angeklagten auf freien Fuß gesetzt.
    Der Magistrate war Mr. F. C. A. Wessels, der Chief Magistrate von Bloemfontein. Als Wessels an diesem ersten Tag mit seiner ziemlich leisen Stimme zu sprechen begann, konnte ihn niemand verstehen. Man hatte amtlicherseits vergessen, Mikrophone und Lautsprecher zu installieren, und während man dem abzuhelfen versuchte, vertagte sich das Gericht für zwei Stunden. Wir versammelten uns in einem Hof, und das Ganze glich sehr einem Picknick, da uns von draußen Essen hereingeschickt wurde. Die Atmosphäre war fast festlich. Zwei Stunden später war die Gerichtsverhandlung für diesen Tag zu Ende, weil man keine richtigen Lautsprecher hatte auftreiben können. Unter dem Jubel der Menge wurden wir zum Fort zurückeskortiert.
    Am nächsten Tag waren die Massen draußen sogar noch größer und die Polizisten noch nervöser. 500 bewaffnete Beamte umgaben die Drill Hall. Als wir eintrafen, sahen wir, daß der Staat für uns einen riesigen Drahtkäfig aufgebaut hatte, in dem wir sitzen sollten. Der Käfig war aus Maschendraht gefertigt, der um ein Gerüst gespannt war, und hatte vorn und oben ein Gitterfenster. Man führte uns hinein, und wir mußten, von 16 bewaffneten Polizisten bewacht, auf Bänken Platz nehmen.
    Zu der symbolischen Wirkung kam hinzu, daß der Käfig jegliche Kommunikation mit unseren Rechtsanwälten, die nicht eintreten durften, unterband. Einer meiner Freunde kritzelte etwas auf ein Stück Papier, das er dann seitlich am Käfig anbrachte: »Gefährlich. Bitte nicht füttern.«
    Unsere Anhänger und die Organisation hatten ein eindrucksvolles Team von Verteidigern zusammengebracht, darunter Bram Fischer, Norman Rosenberg, Israel Maisels, Maurice Franks und Vernon Berrange. Keiner von ihnen hatte je zuvor in einem Gerichtssaal ein solches Gebilde gesehen. Franks trug im offenen Gerichtssaal einen geharnischten Protest gegen den Staat vor, der seine Klienten auf eine solch »phantastische« Weise erniedrigte und sie, wie er sagte, »wie wilde Tiere« behandelte. Falls der Käfig nicht entfernt

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