Der lange Weg zur Freiheit
alle Mühe, die Gegensätze zu überbrücken. Am Ende ergriff aber sogar mein Sohn für Jerry Partei, und es gab nichts, was ich tun konnte, um den Bruch zu verhindern.
Die Boxer drohten unter Jerrys Führung damit, sich vom Club zu trennen und ihren eigenen Verein zu gründen. Ich berief ein Treffen für alle Mitglieder ein, und es wurde eine sehr lebhafte Versammlung – geführt in Sesotho, Zulu, Xhosa und Englisch. Selbst Shakespeare wurde zitiert, und zwar von Skipper in seiner Attacke gegen die rebellischen Boxer: Er warf Jerry vor, ihn genauso zu verraten, wie Brutus Cäsar verraten hätte. »Wer sind Cäsar und Brutus?« fragte mein Sohn. Bevor ich antworten konnte, sagte jemand: »Sind die nicht tot?« Worauf Skipper erwiderte: »Ja, aber die Wahrheit über den Verrat ist sehr lebendig.«
Das Treffen brachte keine Lösung, und die Boxer gingen ihre eigenen Wege, während die Gewichtheber im Gemeindezentrum blieben. Ich schloß mich den Boxern an, und während der ersten Wochen der Trennung trainierten wir an einem für einen Freiheitskämpfer recht unbehaglichen Ort: in der Polizeisporthalle. Danach gab uns die Anglican Church zu einem vernünftigen Mietpreis Räumlichkeiten in Ost-Orlando, und wir trainierten unter Simon (Mshengu) Tshabalala, der später einer der führenden Freiheitskämpfer des ANC im Untergrund wurde.
Unsere neue Ausstattung war nicht besser als die alte, und der Club wurde niemals wieder der alte. Afrikanische Boxer, wie alle schwarzen Athleten und Künstler, waren behindert durch die zwei Handikaps Armut und Rassismus. Was ein afrikanischer Boxer an Geld verdiente, wurde normalerweise für Essen, Miete, Kleidung verwendet, und was dann noch übrig war, ging für Boxausrüstung und Training drauf. Man verweigerte ihm die Mitgliedschaft in einem der weißen Boxclubs, welche die Ausrüstung und die Trainer hatten, die notwendig sind, um erstrangige Weltklasseboxer hervorzubringen. Im Unterschied zu weißen Profiboxern mußten afrikanische Profiboxer ganztags arbeiten. Es gab nur wenige und schlecht bezahlte Sparringspartner, und unter dem Mangel an richtigen Trainingsmöglichkeiten litt natürlich auch die Entwicklung der Boxtalente. Trotzdem gelang es einer Anzahl von afrikanischen Faustkämpfern, diese Schwierigkeiten zu überwinden und große Erfolge zu erringen. Boxer wie Elija (Maestro) Mokone, Enoch (Schoolboy) Nhlapo, Kangeroo Maoto, einer der größten Stilisten im Ring, Levi (Golden Boy) Madi, Nkosana Mgxaji, Mackeed Mofokeng und Norman Sekgapane errangen alle große Siege, während Jake Tuli, unser größter Held, den britischen und Empire-Fliegengewichtstitel gewann. Er war das anschaulichste Beispiel dafür, was afrikanische Boxer erreichen konnten, wenn sie die Chance erhielten.
5. Teil
Verrat
Am 5. Dezember 1956, unmittelbar nach Sonnenaufgang, weckte mich lautes Klopfen an meiner Tür. Kein Nachbar oder Freund klopft jemals auf so fordernde Weise, und ich wußte sofort, daß es die Sicherheitspolizei war. Ich zog mich rasch an und stand vor Hauptkonstabel Rousseau, einem Sicherheitsbeamten, der in unserer Gegend eine vertraute Gestalt war, und zwei Polizisten. Er zückte einen Durchsuchungsbefehl, woraufhin die drei sofort das ganze Haus zu durchsuchen begannen, auf der Suche nach belastenden Papieren oder Dokumenten. Inzwischen waren die Kinder wach, und mit einem strengen Blick befahl ich ihnen, ruhig zu sein. Die Kinder schauten mich trostsuchend an. Die Polizei durchsuchte jeden Schrank, jedes Schränkchen, jede Schublade, wo immer irgend etwas versteckt sein mochte. Nach einer dreiviertel Stunde erklärte Rousseau sachlich: »Mandela, wir haben einen Haftbefehl für Sie. Kommen Sie mit mir.« Als ich einen Blick auf den Haftbefehl warf, sprangen mich die Worte an:
»HORVEROGRAAD – HOCHVERRAT«.
Ich ging mit ihnen zum Auto. Es ist nicht angenehm, vor den eigenen Kindern verhaftet zu werden, auch wenn man weiß, daß das, was man tut, richtig ist. Doch Kinder verstehen die Komplexität der Situation nicht; sie sehen nur, daß ihr Vater ohne Erklärung von weißen Beamten abgeführt wird.
Rousseau hockte am Steuer, und ich saß ohne Handschellen auf dem Vordersitz neben ihm. Er hatte einen Durchsuchungsbefehl für mein Büro in der Stadt, und dort fuhren wir jetzt hin, nachdem wir die beiden anderen Polizisten in einem benachbarten Viertel abgesetzt hatten. Um in das Zentrum von Johannesburg zu kommen, mußte man einer einsamen Landstraße folgen, die
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