Der lange Weg zur Freiheit
durch unbewohntes Gebiet führte. Während wir auf dieser Landstraße fuhren, bemerkte ich zu Rousseau, er müsse recht vertrauensselig sein, mit mir allein zu fahren. Schließlich hätte ich ja keine Handschellen an. Er schwieg.
»Was würde passieren, wenn ich Sie packen und überwältigen würde?« fragte ich.
Rousseau bewegte sich unbehaglich auf seinem Sitz. »Sie spielen mit dem Feuer, Mandela«, antwortete er.
»Mit Feuer spielen ist mein Spiel«, erklärte ich.
»Wenn Sie so weiterreden, werde ich Ihnen Handschellen anlegen müssen«, sagte Rousseau drohend.
»Und wenn ich mich weigere?«
Wir führten diesen angespannten Dialog noch einige Minuten lang fort, aber als wir dann durch das belebte Gebiet in der Nähe der Laglate-Polizeistation fuhren, erklärte Rousseau: »Mandela, ich habe Sie gut behandelt und erwarte, daß Sie sich mir gegenüber genauso verhalten. Ihre Scherze gefallen mir nicht.«
Nach einem kurzen Stopp auf der Polizeistation schloß sich uns ein weiterer Officer an, und wir fuhren zu meinem Büro, das sie eine Dreiviertelstunde lang durchsuchten. Von dort wurde ich zum Marshall Square gebracht, jenem weiträumigen Gefängnis aus roten Ziegeln, wo ich bereits 1952 während der Mißachtungskampagne einige Nächte zugebracht hatte. Einige meiner Kollegen befanden sich bereits dort, ihre Verhaftung war noch früher erfolgt als meine. Im Laufe der nächsten Stunden kamen nach und nach immer mehr Freunde und Gefährten herein. Diesen Schlag hatte die Regierung schon seit langem geplant. Irgend jemand schmuggelte ein Exemplar der Nachmittagsausgabe von The Star herein, und die Schlagzeilen verrieten uns, daß es sich um eine landesweite Razzia gehandelt hatte und daß die wichtigsten Führer der Congress Alliance allesamt verhaftet worden seien unter Anklage des Hochverrats und wegen angeblicher Verschwörung zum Sturz der Regierung. Jene, die in anderen Landesteilen verhaftet worden waren – Häuptling Luthuli, Monty Naicker, Reggie September, Lilian Ngoyi, Piet Beyleveld –, wurden mit Militärflugzeugen nach Johannesburg geflogen, wo sie vor Gericht gestellt werden sollten. Insgesamt 144 Personen waren festgenommen worden. Am folgenden Tag erschienen wir vor Gericht und wurden formal angeklagt. Eine Woche später wurden Walter Sisulu und noch elf weitere festgenommen, so daß die Gesamtzahl auf 156 anstieg. Alles in allem waren es 105 Afrikaner, 21 Inder, 23 Weiße und sieben Farbige. Fast die gesamte Exekutivführung des ANC, Gebannte wie Nichtgebannte, war verhaftet worden. Die Regierung hatte, nun also doch, ihren Zug getan.
Schon bald verlegte man uns in das Gefängnis von Johannesburg, allgemein als »das Fort« bekannt, ein öder burgartiger Bau auf einem Hügel im Herzen der Stadt. Dort führte man uns nach unserer Ankunft zu einem rechteckigen Platz im Freien, wo wir uns völlig nackt ausziehen und an der Mauer Aufstellung nehmen mußten. Man zwang uns, dort über eine Stunde lang so zu stehen, im kühlen Wind zitternd und mit einem Gefühl von Hilflosigkeit – Priester, Professoren, Ärzte, Rechtsanwälte, Geschäftsleute, Männer mittleren oder höheren Alters, die normalerweise mit Zuvorkommenheit und Respekt behandelt wurden. Trotz meines Zorns mußte ich unwillkürlich lachen, als ich die Männer um mich herum prüfend anschaute. Zum erstenmal wurde mir die Wahrheit des Sprichwortes »Kleider machen Leute« bewußt. Wäre ein schöner Körper und ein eindrucksvolles Äußeres für einen Führer eine Grundvoraussetzung, so wären, wie ich sehen konnte, nur wenige von uns qualifiziert gewesen.
Schließlich erschien ein weißer Arzt und fragte, ob irgend jemand von uns krank sei. Niemand meldete sich. Wir mußten uns wieder anziehen und wurden in zwei große Zellen mit Zementfußboden und ohne Mobiliar geführt. Die Zellen waren kürzlich gestrichen worden und rochen durchdringend nach Farbe. Jeder von uns bekam drei dünne Wolldecken und eine Sisalmatte. Die einzige Latrine der Zelle befand sich in Fußbodenhöhe und lag völlig frei. Es heißt, daß man eine Nation erst dann wirklich kennt, wenn man in ihren Gefängnissen gewesen ist. Eine Nation sollte nicht danach beurteilt werden, wie sie ihre höchsten Bürger behandelt, sondern ihre niedrigsten – und Südafrika behandelte seine inhaftierten Bürger wie Tiere.
Zwei Wochen lang blieben wir im Fort, und trotz der Strapazen waren wir in außergewöhnlich hochgemuter Stimmung. Wir konnten Zeitungen
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