Der lange Weg zur Freiheit
lesen und erfuhren dankbar und zufrieden von den Wellen der Empörung, die unsere Verhaftung ausgelöst hatte. In ganz Südafrika wurden Protestversammlungen und Demonstrationen abgehalten; Menschen trugen Schilder mit der Aufschrift »Wir stehen zu unseren Führern«. Wir lasen, daß auf der ganzen Welt gegen unsere Inhaftierung protestiert wurde.
Unsere Gemeinschaftszelle wurde zu einer Art Konvent für weit verstreut lebende Freiheitskämpfer. Viele von uns hatten unter strengen Restriktionen leben müssen, die es für ungesetzlich erklärten, uns zu treffen und miteinander zu reden. Jetzt hatte der Feind uns alle unter einem Dach versammelt, zur größten und längsten nichtgebannten Zusammenkunft der Congress Alliance seit Jahren. Jüngere Führer trafen ältere, von denen sie nur gelesen hatten. Männer aus Natal trafen mit Führern aus Transvaal zusammen. Während der zwei Wochen, die wir auf den Prozeß warteten, genossen wir es, Ideen und Erfahrungen auszutauschen.
Jeden Tag stellten wir ein Programm von Aktivitäten zusammen. Patrick Molaoa und Peter Nthite, beide prominente Mitglieder der Jugendliga, organisierten körperliches Training. Gespräche über vielerlei Themen wurde angesetzt, und wir hörten Professor Matthews, der sowohl über die Geschichte des ANC wie auch über die der amerikanischen Schwarzen sprach. Debi Singh hielt einen Vortrag über die Geschichte des SAIC, Arthur Letele beschäftigte sich mit dem afrikanischen Medizinmann, während Reverend James Calata über afrikanische Musik sprach – und mit seiner wunderschönen Tenorstimme sang. Jeden Tag leitete Vuyisile Mini, den Jahre später die Regierung wegen politischer Verbrechen hängen ließ, die Gruppe beim Singen von Freiheitsliedern. Eines der beliebtesten war: »Nans’ indodsemnyama Strijdom, Bhasobha nans’ indodsemnyama Strijdom«
(»Hier ist der schwarze Mann, Strijdom, hüte dich vor dem schwarzen Mann, Strijdom«). Wir sangen mit äußerster Kraft, und der Gesang hielt unsere Stimmung hoch.
Einmal lieferte Masabalala Yengwa (besser bekannt als M. B. Yengwa), der Sohn eines Zulu-Arbeiters und Bezirkssekretär des Natal-ANC, einen besonderen musikalischen Beitrag, indem er einen Lobgesang zu Ehren von Shaka, dem legendären Zulu-Krieger und -König, rezitierte. Yengwa drapierte sich mit einer Wolldecke, eine zusammengerollte Zeitung diente ihm als Schwert, und die Zeilen des Lobgesangs rezitierend, begann er, auf und ab zu schreiten. Wie waren alle überwältigt, auch jene, die kein Zulu verstanden. Schließlich legte er eine dramatische Pause ein und rief dann die Worte: »Inyoni edl ezinye! Yathi isadl ezinye, yadi ezinya!« Diese Zeile vergleicht Shaka mit einem großen Raubvogel, der ohne Unterlaß seine Feinde schlägt. Am Schluß dieser Worte brach ein Höllenlärm los. Häuptling Luthuli, der sich bis dahin still verhalten hatte, sprang auf und brüllte »Ngu Shaka lowo!« (»Das ist Shaka!«) und begann dann zu tanzen und zu singen. Seine Bewegungen elektrisierten uns, und wir sprangen alle auf. Geübte Gesellschaftstänzer genau wie Nichttänzer, die weder von westlichen noch von traditionellen Tänzen eine Ahnung hatten, sie alle vereinten sich im »Indlamu«, dem traditionellen Zulu-Kriegstanz. Einige bewegten sich graziös, andere ähnelten erfrierenden Bergsteigern, die versuchten, das Eis abzuschütteln, doch alle tanzten mit Gefühl und Enthusiasmus. Plötzlich gab es keine Xhosas oder Zulus, keine Inder oder Afrikaner, keine Rechten oder Linken, keine religiösen oder politischen Führer mehr; wir waren alle Nationalisten und Patrioten, miteinander verbunden durch Liebe zu unserer gemeinsamen Geschichte, unserer Kultur, unserem Land und unserem Volk. In diesem Augenblick regte sich etwas tief in uns allen, etwas Starkes und Intimes, das uns miteinander verband. In diesem Augenblick spürten wir die Hand der großen Vergangenheit, die uns zu dem machte, was wir waren, und die Kraft der großen Sache, die uns alle verband.
Nach den zwei Wochen brachte man uns am 19. Dezember zur Voruntersuchung in die Drill Hall in Johannesburg, ein Militärgebäude, das normalerweise nicht als Gericht diente. Es handelte sich um ein großes, kahles, scheunenartiges Gebäude mit einem verrosteten Metalldach, das als einziges öffentliches Gebäude galt, das groß genug war, um für einen Prozeß mit so vielen Angeklagten genügend Platz zu bieten.
Transportiert wurden wir in versiegelten Polizeilastwagen, in Begleitung von
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