Der lange Weg zur Freiheit
Häuptling Luthuli und Oliver Tambo darunter. Die Freilassung von Luthuli und Tambo erfreute und verwirrte uns.
Als im Januar die Regierung an der Reihe war, Anklagepunkte zusammenfassend vorzubringen, setzte die Krone einen neuen Ankläger ein, den furchtbaren Oswald Pirow. Pirow war ehemaliger Justiz- und Verteidigungsminister und eine Stütze der Politik der National Party. Als alter nationalistischer Afrikander hatte er sich offen zur Nazi-Sache bekannt und Hitler einmal als den »größten Mann seines Zeitalters« bezeichnet. Er war ein unversöhnlicher Antikommunist. Die Ernennung Pirows bewies erneut, daß der Staat über den Ausgang des Prozesses besorgt war und einem Sieg enorme Bedeutung beimaß.
Bevor Pirow zu seiner Zusammenfassung kam, erklärte Berrange, er werde unsere Freilassung beantragen, und zwar aufgrund der Tatsache, daß der Staat nicht genügend Beweise gegen uns vorgelegt habe. Pirow widersprach diesem Antrag auf Freilassung und zitierte aus mehreren flammenden Reden der Angeklagten; überdies, so erklärte er, habe die Polizei weitere Beweise für eine höchst gefährliche Verschwörung entdeckt. Das Land, so verkündete er in getragenem Ton, sitze auf der Spitze eines Vulkans. Es war eine wirkungsvolle, hochdramatische Darbietung. Pirow veränderte die Atmosphäre des Prozesses. Wir waren allzu zuversichtlich geworden und wurden nun daran erinnert, daß wir uns einer schwerwiegenden Anklage gegenübersahen. Täuscht euch nicht, erklärten unsere Anwälte, es kann durchaus sein, daß ihr ins Gefängnis geht. Ihre Warnungen ernüchterten uns.
Nach dreizehnmonatiger Voruntersuchung entschied der Magistrate, er habe »ausreichend Grund« dafür gefunden, uns wegen Hochverrats vor das Oberste Gericht von Transvaal zu bringen. Im Januar vertagte sich das Gericht, und es waren noch 95 Angeklagte übrig, die vor Gericht gestellt würden. Wann der eigentliche Prozeß beginnen würde, wußten wir nicht.
EinesNachmittags, während einer Pause bei der Voruntersuchung, fuhr ich einen Freund von mir von Orlando zur medizinischen Fakultät der University of Witwatersrand und kam dabei am Baragwanath Hospital vorüber, dem bedeutendsten schwarzen Krankenhaus in Johannesburg. Als ich eine nahegelegene Bushaltestelle passierte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine reizende junge Frau, die auf den Bus wartete. Ich war überwältigt von ihrer Schönheit und drehte den Kopf, um einen besseren Blick auf sie zu erhaschen, doch mein Auto war schon zu weit entfernt. Das Gesicht dieser Frau haftete in meiner Erinnerung – ich dachte sogar daran, umzudrehen und aus der entgegengesetzten Richtung an ihr vorbeizufahren –, aber ich fuhr dann doch weiter.
Einige Wochen später geschah etwas Seltsames. Ich war im Büro und wollte nur kurz zu Oliver hineinschauen, als ich dieselbe junge Frau mit ihrem Bruder vor Olivers Schreibtisch sitzen sah. Ich war etwas verdattert und gab mir alle Mühe, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen – und auch nicht mein Entzücken über diesen höchst willkommenen Zufall. Oliver machte mich mit den beiden bekannt und erklärte, sie hätten ihn in einer Rechtsangelegenheit aufgesucht.
Ihr Name war Nomzamo Winnifred Madikizela, doch sie wurde Winnie genannt. Sie hatte kurz zuvor ihr Studium an der Jan-Hofmeyr-Schule für Sozialarbeit in Johannesburg abgeschlossen und arbeitete als erste schwarze Sozialarbeiterin im Baragwanath Hospital. Ich muß gestehen, daß ich zu diesem Zeitpunkt ihrer Vergangenheit wie auch ihrem juristischen Problem wenig Aufmerksamkeit schenkte, denn ihre Gegenwart rührte tief in mir etwas an. Ich dachte vor allem daran, wie ich sie bitten konnte, mit mir auszugehen. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt, doch ich weiß, daß ich in dem Augenblick, wo ich Winnie Nomzamo zum erstenmal sah, genau wußte, daß ich sie zur Frau haben wollte.
Winnie war das sechste von elf Kindern von C. K. Madikizela, einem Schuldirektor, der Geschäftsmann geworden war. Ihr eigentlicher Name war Nomzamo, eine Bezeichnung für jemanden, der sich bemüht oder sich Prüfungen unterzieht, ein ebenso prophetischer Name wie mein eigener. Sie war aus Bizana in Pondoland, ein jenem Teil der Transkei benachbartes Gebiet, wo ich aufgewachsen war. Sie stammt aus dem Phondo-Clan von amaNgutyana, und ihr Urgroßvater war Madikizela, ein mächtiger Häuptling aus dem Natal des 19. Jahrhunderts, der sich zur Zeit der
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