Der lange Weg zur Freiheit
der Härte des Staates. Die Regierung forderte Industriebetriebe auf, Schlafgelegenheiten für Arbeiter zu schaffen, damit sie während des Streiks nicht nach Hause zurückkehren mußten. Zwei Tage vor dem Streik inszenierte die Regierung die größte Machtdemonstration in Friedenszeiten, die Südafrika in seiner Geschichte je erlebt hatte. Das Militär führte die größte Einberufungsaktion seit dem Kriege durch. Polizeiurlaube wurden gestrichen. Militäreinheiten wurden an den Ein- und Ausfahrten der Townships stationiert.
Während Saracen-Panzer durch die schmutzigen Straßen der Townships rollten, schwebten Hubschrauber in der Luft, bereit, herabzustoßen und jegliche Art von Versammlung aufzulösen. Nachts richteten die Helikopter Scheinwerfer auf die Häuser.
Die englischsprachige Presse hatte über die Kampagne ausführlich berichtet, bis einige Tage vor dem geplanten Beginn. Doch am Vorabend des Stay-at-Home gab die gesamte englischsprachige Presse nach und forderte die Menschen auf, zur Arbeit zu gehen. Der PAC spielte die Rolle des Saboteurs und verteilte Tausende von Flugblättern, auf denen die Leute aufgefordert wurden, den Stay-at-Home abzulehnen, und die ANC-Führer als Feiglinge denunziert wurden. Die Aktionen des PAC schockierten uns. Daß man uns kritisierte, konnten wir akzeptieren, doch der Aufruf, nicht am Streik teilzunehmen, sondern zur Arbeit zu gehen, spielte dem Feind unmittelbar in die Hände.
In der Nacht vor dem Stay-at-Home sollte ich in einem sicheren Haus in Soweto mit der Johannesburger Führung des ANC zusammentreffen. Um die Straßensperren der Polizei zu vermeiden, fuhr ich durch Kliptown nach Soweto, weil dort normalerweise nicht patrouilliert wurde. Doch als ich um eine Ecke bog, fuhr ich genau auf das zu, was ich versucht hatte zu vermeiden: eine Straßensperre. Ein weißer Polizist winkte mir zu halten. Ich trug meine gewöhnliche Verkleidung aus Overall und Chauffeursmütze. Er blinzelte mich durch das Fenster an und begann dann, selbst das Auto zu durchsuchen. Normalerweise war dies die Aufgabe der afrikanischen Polizei. Nachdem er nichts gefunden hatte, verlangte er meinen Paß. Ich sagte ihm, ich hätte ihn aus Versehen zu Hause gelassen, und nannte beiläufig eine erfundene Paßnummer. Dies schien ihm zu genügen, und er winkte mir, weiterzufahren.
Am Montag, 29. Mai, dem ersten Streiktag, riskierten Hunderttausende von Menschen ihren Job und ihren Lebensunterhalt, indem sie nicht zur Arbeit gingen. In Durban verließen indische Arbeiter die Fabriken, während am Kap farbige Arbeiter zu Hause blieben. In Johannesburg blieb mehr als die Hälfte der Angestellten zu Hause, und in Port Elizabeth war die Zahl noch höher. Ich rühmte die Reaktionen der Presse gegenüber als »phantastisch« und lobte unsere Leute dafür, »daß sie der beispiellosen Einschüchterung durch den Staat Widerstand leisteten«. Die weiße Feier des Republic Day ging in unserem Protest unter.
Obwohl Berichte über den ersten Tag des Stay-at-Home auf starke Reaktionen in verschiedenen Teilen des Landes hinzuweisen schienen, war der Widerhall insgesamt doch dürftiger als von uns erhofft. Die Kommunikation war schwierig, und schlechte Neuigkeiten scheinen sich immer schneller zu verbreiten als gute. Als weitere Berichte eintrafen, fühlte ich mich angesichts der Reaktion niedergeschlagen und enttäuscht. An jenem Abend hatte ich ein wenig demoralisiert und auch zornig mit Benjamin Pogrund von der Rand Daily Mail ein Gespräch, in dem ich andeutete, daß die Tage des gewaltlosen Kampfes vorüber seien.
Am zweiten Tag blies ich den Stay-at-Home nach Beratung mit meinen Mitstreitern ab. An diesem Morgen traf ich mich in einer sicheren Wohnung in einem weißen Vorort mit verschiedenen Mitgliedern der lokalen und der ausländischen Presse, und wieder bezeichnete ich den Streik als einen »großartigen Erfolg«. Aber ich machte auch keinen Hehl daraus, daß ich meinte, ein neuer Tag dämmere herauf. Ich erklärte: »Wenn die Reaktion der Regierung darin besteht, mit nackter Gewalt unseren gewaltlosen Kampf zu zermalmen, so werden wir unsere Taktik zu überdenken haben. Nach meiner Vorstellung schließen wir ein Kapitel über die Frage einer gewaltlosen Politik ab.« Es war eine schwerwiegende Erklärung, und ich wußte es. Von unserer Exekutive wurde ich dafür kritisiert, daß ich diese Bemerkung gemacht hatte, bevor sie in der Organisation erörtert worden war, doch manchmal muß man mit
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