Der lange Weg zur Freiheit
einer Idee an die Öffentlichkeit gehen, um eine widerstrebende Organisation in die gewünschte Richtung zu drängen.
Die Debatte über den Einsatz von Gewalt war bereits seit den frühen 60er Jahren bei uns im Gange. Erstmals hatte ich den bewaffneten Kampf 1952 mit Walter erörtert. Jetzt besprach ich mich wieder mit ihm, und wir stimmten darin überein, daß die Organisation einen neuen Kurs einschlagen mußte. Die Kommunistische Partei hatte sich im Untergrund neu organisiert und dachte an die Bildung eines eigenen militärischen Flügels. Wir beschlossen, daß ich das Thema des bewaffneten Kampfes im Arbeitskomitee zur Sprache bringen sollte, und das tat ich bei einem Treffen im Juni 1961.
Ich hatte kaum meinen Vorschlag vorzutragen begonnen, als Moses Kotane, der Sekretär der Kommunistischen Partei und einer der mächtigsten Männer in der ANC-Exekutive, einen Gegenangriff unternahm und mir vorwarf, meinen Vorschlag nicht sorgfältig genug durchdacht zu haben. Die Aktionen der Regierung hätten mich ausmanövriert und paralysiert, und jetzt bediene ich mich in meiner Verzweiflung der Sprache der Revolution. »Es ist«, betonte er, »noch immer Raum für die alten Methoden, wenn wir nur genügend Phantasie und Entschlußkraft aufbringen. Wählen wir den von Mandela vorgeschlagenen Kurs, so werden wir unschuldige Menschen den Massakern des Feindes aussetzen.«
Moses sprach überzeugend, und ich konnte erkennen, daß er meinen Vorschlag abgeschmettert hatte. Nicht einmal Walter äußerte sich zu meinen Gunsten, und so gab ich nach. Später sprach ich mit Walter, gab meiner Frustration Ausdruck und tadelte ihn, weil er mir nicht zu Hilfe gekommen war. Er lachte und erklärte, das wäre genauso töricht gewesen wie gegen ein Rudel wütender Löwen zu kämpfen. Walter ist Diplomat, ein außerordentlich einfallsreicher. »Laß es mich einrichten, daß ihr beide, Moses und du, euch privat trefft«, sagte er, »dann kannst du ihm deinen Fall darlegen.« Ich lebte im Untergrund, doch es gelang Walter, uns in einem Haus in der Township zusammenzubringen, und wir sprachen den ganzen Tag miteinander.
Freimütig erklärte ich, warum ich glaubte, daß wir keine andere Wahl hätten, als zur Gewalt zu greifen. Ich gebrauchte einen alten afrikanischen Ausspruch: »Sebatana ha se bokwe ka diatla« (»Die Angriffe der wilden Bestie kann man nicht nur mit bloßen Händen abwehren«). Moses war Kommunist der alten Art, und ich hielt ihm vor, seine Opposition gliche jener der Kommunistischen Partei in Kuba unter dem Batista-Regime. Damals habe die Partei behauptet, die erforderlichen Bedingungen seien noch nicht eingetreten, und sie habe gezögert, weil sie sich schlicht an die Lehrbuchdefinitionen Lenins und Stalins gehalten hätte. Castro aber wartete nicht, er handelte – und triumphierte. Wenn man auf Lehrbuchbedingungen wartet, werden sie niemals eintreten. Ich sagte Moses unverblümt, daß er noch immer der alten Vorstellung anhänge, der ANC sei eine legale Organisation. Die Menschen bildeten bereits auf eigene Faust militärische Einheiten, und die einzige Organisation, welche die Kraft besitze, sie zu führen, sei der ANC. Wir hätten stets behauptet, die Menschen seien uns voraus, und jetzt seien sie es in der Tat.
Wir sprachen den ganzen Tag, und am Schluß erklärte Moses mir: »Nelson, ich will dir nichts versprechen, doch trag das Thema im Komitee wieder vor, und wir werden sehen, was geschieht.« Eine Woche später fand ein Treffen statt, und ich brachte das Thema erneut zur Sprache. Diesmal schwieg Moses, und es bestand allgemeiner Konsens darüber, daß ich den Vorschlag dem Nationalen Exekutivkomitee in Durban vortragen sollte. Walter lächelte nur.
Die Zusammenkunft der Exekutive in Durban fand wie alle ANC-Meetings zu dieser Zeit heimlich und nachts statt, um der Polizei aus dem Wege zu gehen. Ich rechnete damit, Schwierigkeiten zu bekommen, weil Häuptling Luthuli sich angesagt hatte, und ich kannte seine moralische Haltung zur Gewaltlosigkeit. Überdies hatte ich Bedenken wegen des Zeitpunkts, denn ich brachte das Thema Gewalt so kurze Zeit nach dem Hochverratsprozeß zur Sprache, in dem wir doch erklärt hatten, für den ANC sei Gewaltlosigkeit ein unantastbares Prinzip und keine Taktik, die sich je nach Umständen ändere. Ich selbst glaubte genau das Gegenteil: Gewaltlosigkeit sei eine Taktik, die aufgegeben werden sollte, wenn sie ihre Wirkung verloren habe.
Auf dem Treffen argumentierte ich, der
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