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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Morgengrauen fand sich eine Lösung. Die Kongresse bevollmächtigten mich, eine neue militärische, vom ANC losgelöste Organisation zu bilden. Die Politik des ANC würde nach wie vor die der Gewaltlosigkeit sein. Ich wurde autorisiert, mit jedem zusammenzuarbeiten, mit dem ich wollte oder den ich brauchte, um diese Organisation zu schaffen, und ich würde nicht der unmittelbaren Kontrolle der Mutter Organisation unterstehen.
    Dies war ein schicksalhafter Schritt. 50 Jahre lang hatte der ANC Gewaltlosigkeit als Kernprinzip behandelt, jenseits aller Fragen und Zweifel. Von nun an würde der ANC eine andere Organisation sein. Wir waren im Begriff, einen neuen, gefährlicheren Weg einzuschlagen, einen Weg organisierter Gewalt, deren Folgen wir nicht kannten und nicht kennen konnten.
     
     
    Ich, der niemals Soldat gewesen war, der niemals in einer Schlacht gekämpft und niemals auf einen Feind geschossen hatte, sollte nun eine Armee aufstellen. Das wäre eine einschüchternde Aufgabe für einen kampferprobten General gewesen, von einem militärischen Novizen ganz zu schweigen. Der Name dieser neuen Organisation war Umkhonto We Sizwe (»Der Speer der Nation«) – abgekürzt MK. Das Symbol des Speers wurde gewählt, weil Afrikaner mit dieser einfachen Waffe jahrhundertelang die Überfälle von Weißen abgewehrt hatten.
    Obwohl die ANC-Exekutive weiße Mitglieder nicht zuließ, war der MK in dieser Hinsicht nicht so engstirnig. Sofort holte ich Joe Slovo und Walter Sisulu an meine Seite, und wir bildeten das Oberkommando mit mir als Vorsitzendem. Über Joe konnte ich mir die Dienste kommunistischer Parteimitglieder zunutze machen, die sich bereits für einen Gewaltkurs entschieden und auch schon Sabotageakte durchgeführt hatten, etwa das Durchtrennen von Telefon- und Kommunikationsleitungen der Regierung. Wir rekrutierten Jack Hodgson, der im Zweiten Weltkrieg in der Springbok Legion gekämpft hatte, sowie Rusty Bernstein, beide Parteimitglieder. Jack wurde unser erster Experte für Zerstörungsaktionen. Unser Auftrag war es, Gewaltakte gegen den Staat zu verüben – doch welche Form diese Akte annehmen sollten, war noch zu entscheiden. Unsere Absicht war es, mit Aktionen zu beginnen, die am wenigsten gewalttätig gegen Individuen, jedoch höchst zerstörerisch für den Staat sein würden.
    Ich ging an die Aufgabe auf die Weise heran, die mir geläufig war, indem ich las und mit Experten sprach. Herausfinden wollte ich die fundamentalen Prinzipien zur Auslösung einer Revolution. Ich entdeckte, daß gerade über dieses Thema außerordentlich viel geschrieben worden war, und ich bahnte mir meinen Weg durch die vorhandene Literatur über bewaffnete Kriegführung und besonders über Guerillakriegführung. Ich wollte wissen, welche Umstände für einen Guerillakrieg förderlich waren; wie man Guerillastreitkräfte aufstellt, ausbildet und aufrechterhält; wie sie bewaffnet und auf welche Weise sie versorgt werden sollten – alles grundlegende, fundamentale Fragen. Ich interessierte mich für jedes nur denkbare Informationsmaterial. Ich las den Bericht von Blas Roca, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei von Kuba, über ihre Jahre als illegale Organisation während des Batista-Regimes. In »Commando« von Deneys Reitz las ich über die unkonventionellen Guerillataktiken der Burengenerale während des Burenkrieges. Ich las Werke von und über Che Guevara, Mao-Tse-tung, Fidel Castro. Aus Edgar Snows brillantem Buch »Roter Stern über China« erfuhr ich, daß es Maos Entschlossenheit und sein nichttraditionelles Denken gewesen waren, die ihn zum Sieg geführt hatten. Ich las »The Revolt« von Menachem Begin und fühlte mich ermutigt durch die Tatsache, daß der israelische Führer eine Guerillastreitmacht in einem Land ohne Berge und Wälder geführt hatte, in einer Situation, die unserer eigenen ähnelte. Ich wollte mehr erfahren über den bewaffneten Kampf des Volkes von Äthiopien gegen Mussolini und über die Guerilla-Armeen von Kenia, Algerien und Kamerun.
    Ich vertiefte mich in die Vergangenheit Südafrikas und studierte unsere Geschichte vor und nach der Ankunft des weißen Mannes. Ich erforschte die Kriege von Afrikanern gegen Afrikaner, von Afrikanern gegen Weiße, von Weißen gegen Weiße. Ich verschaffte mir einen Überblick über die Hauptindustriegebiete des Landes, über sein Transport- und Kommunikationssystem. Ich sammelte detaillierte Landkarten und analysierte systematisch das Terrain

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