Der lange Weg zur Freiheit
verschiedener Landesregionen.
Am 26. Juni 1961, unserem Freedom Day (Freiheitstag), schickte ich aus dem Untergrund einen Brief an südafrikanische Zeitungen, in dem ich die Menschen wegen ihres Muts beim letzten Stay-at-Home lobte und erneut zu einem konstitutionellen Nationalkonvent aufrief. Wieder verkündete ich, daß für den Fall, daß der Staat sich weigere, einen solchen Konvent abzuhalten, eine landesweite Kampagne der Nichtkooperation durchgeführt werde. Ein Ausschnitt dieses Briefes:
»Wie ich erfahre, ist ein Haftbefehl gegen mich ergangen, und die Polizei fahndet nach mir. Der National Action Council hat diese Frage gründlich und ernsthaft erörtert… und er hat mir geraten, mich nicht zu stellen. Ich habe diesen Rat akzeptiert und werde mich keiner Regierung ergeben, die ich nicht anerkenne. Jeder ernsthafte Politiker wird verstehen, daß bei den gegenwärtigen Zuständen im Land das Streben nach billigem Märtyrertum, indem ich mich der Polizei stelle, naiv und kriminell wäre…
Ich habe diesen Weg gewählt, der schwieriger ist und mehr Risiken und Strapazen mit sich bringt als der Gefängnisaufenthalt. Ich mußte mich trennen von meiner lieben Frau und meinen Kindern, von meiner Mutter und meinen Schwestern, um als Outlaw in meinem eigenen Land zu leben. Ich mußte meine Praxis schließen, meinen Beruf aufgeben und in Armut leben wie so viele unserer Menschen… Ich werde gegen die Regierung kämpfen, Seite an Seite mit euch, Meter für Meter und Meile für Meile, bis der Sieg errungen ist. Was werdet ihr tun? Werdet ihr uns begleiten oder werdet ihr kooperieren mit der Regierung bei ihren Bemühungen, die Ansprüche und Forderungen eurer eigenen Leute zu unterdrücken? Werdet ihr schweigen und euch neutral verhalten in einer Angelegenheit auf Leben und Tod für meine Leute, für eure Leute? Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung getroffen. Weder werde ich Südafrika verlassen noch werde ich kapitulieren. Nur durch Leiden, Opfer und militante Tat kann Freiheit erreicht werden. Der Kampf ist mein Leben. Ich werde bis zum Ende meiner Tage für die Freiheit kämpfen.«
Während der ersten Monate im Untergrund wohnte ich für einige Wochen bei einer Familie in der Market Street, und danach teilte ich mir mit Wolfie Kodesh eine Ein-Zimmer-Junggesellenwohnung in Berea, einem ruhigen weißen Vorort nördlich des Zentrums. Wolfie war Mitglied des Congress of Democrats, Reporter für New Age und hatte im Zweiten Weltkrieg in Nordafrika und in Italien gekämpft. Seine Kenntnisse über Kriegführung und seine Kampferfahrungen aus erster Hand waren äußerst nützlich für mich. Auf seine Anregung las ich das klassische Werk des preußischen Offiziers Carl von Clausewitz »Vom Kriege«. Clausewitz’ zentrale These, daß der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, entsprach meinen eigenen Neigungen. Was die Beschaffung von Lesematerial anging, verließ ich mich auf Wolfie, und ich befürchte, daß ich sein Leben beeinträchtigte, was Arbeit und Vergnügen betraf. Aber er war so ein freundlicher, bescheidener Mensch, daß er sich niemals beklagte.
Ich verbrachte fast zwei Monate in seiner Wohnung, wo ich auf einem Behelfsbett schlief. Tagsüber blieb ich zu Hause, las und plante bei heruntergezogenen Jalousien. Erst abends brach ich zu Meetings oder Beratungen auf. Jeden Morgen verärgerte ich Wolfie, weil ich um fünf Uhr aufwachte, meine Trainingskleidung anzog und über eine Stunde lang auf der Stelle lief. Schließlich kapitulierte Wolfie vor meinen Gewohnheiten und schloß sich meinem Morgentraining an, bevor er in die Stadt fuhr.
Der MK übte zu diesem Zeitpunkt das Zünden von Sprengstoff. Eines Nachts begleitete ich Wolfie zu einer alten Ziegelei an der Peripherie der Stadt, wo eine Demonstration stattfinden sollte. Es war ein Sicherheitsrisiko dabei, doch ich wollte beim ersten Test des MK mit einem Sprengkörper dabeisein. Bei Ziegeleien waren Explosionen nicht außergewöhnlich, weil die Betriebe zur Lockerung des Tons Dynamit verwendeten, bevor die großen Maschinen das Rohmaterial zur Herstellung von Ziegeln ausschaufelten. Jack Hodgson hatte eine Paraffinbüchse voll Nitroglyzerin mitgebracht. Er hatte einen Zeitzünder gebastelt, der sich in einem Kugelschreiber befand. Es war dunkel, und wir hatten nur ein kleines Licht; während Jack arbeitete, standen wir dicht bei ihm. Als er fertig war, traten wir zurück und zählten dann
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