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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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verabscheue ich, was ich tue. Es tut mir weh, daß ich das Gericht dazu auffordern muß, Sie ins Gefängnis zu schicken.« Dann schüttelte er mir die Hand und gab der Hoffnung Ausdruck, daß sich für mich alles zum Guten wenden würde. Ich dankte ihm für seine Worte und versicherte ihm, ich würde seine Worte nie vergessen.
    Die Behörden waren an diesem Tag auf der Hut. Die Zuschauermenge schien noch größer zu sein als am ersten Prozeßtag. Alle 150 Sitze für »Nichtweiße« waren besetzt. Winnie war auch da, in Xhosa-Kleidung, des weiteren eine Anzahl meiner Verwandten aus der Transkei. Hunderte von Demonstranten standen einen Häuserblock vom Gerichtsgebäude entfernt, und es schienen genauso viele Polizisten wie Zuschauer gekommen zu sein.
    Als ich den Gerichtssaal betrat, hob ich meine rechte Faust und rief aus: »Amandla!«, worauf ein machtvolles »Ngawethu!« erscholl. Der Magistrate benutzte seinen Hammer und forderte laut zur Ordnung auf. Als es still im Saal war, faßte er die Anklagepunkte zusammen, und danach erhielt ich Gelegenheit zu sprechen.
    Mein Plädoyer für Strafmilderung dauerte über eine Stunde. Aber es war gar kein Plädoyer im juristischen Sinn, sondern ein politisches Testament. Ich wollte dem Gericht erklären, wie und warum ich der Mann geworden war, der ich war, warum ich getan hatte, was ich getan hatte, und warum ich, sofern ich die Gelegenheit erhielte, es wieder tun würde.
     
     
    »Vor vielen Jahren, als ich noch ein Junge war, der in einem Dorf in der Transkei aufwuchs, hörte ich den Ältesten des Stammes zu, wenn sie Geschichten über die guten alten Zeiten vor der Ankunft des weißen Mannes erzählten. Damals lebten unsere Menschen friedlich unter der demokratischen Herrschaft ihrer Könige und ihrer Amapakati (wörtlich ›Eingeweihte‹, doch gemeint sind jene, die dem König rangmäßig am nächsten standen) und zogen frei und sicher durch das Land ohne Hindernis. Das Land war unser eigen, nach Namen und Recht. Wir besaßen das Land, die Wälder, die Flüsse; wir hoben den Erzreichtum der Erde und alle die anderen Reichtümer des schönen Landes. Wir bildeten und unterhielten unsere eigene Regierung, wir kontrollierten unsere eigenen Waffen, und wir organisierten unseren Handel und Wandel. Die Ältesten pflegten Geschichten von den Kriegen zu erzählen, die unsere Vorfahren führten zur Verteidigung des Vaterlandes, und von den Heldentaten von Generälen und Soldaten während dieser heroischen Tage.
    Struktur und Organisation früher afrikanischer Gesellschaften in diesem Land haben mich sehr fasziniert und das Entstehen meiner politischen Überzeugung stark beeinflußt. Das Land, damals die Hauptquelle der Produktion, gehörte dem ganzen Stamm, es gab keinerlei Privatbesitz. Es gab keine Klassen, keine Reichen oder Armen und keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Alle Menschen waren frei und gleich, und dies war die Grundlage der Regierung. Die Anerkennung dieses allgemeinen Grundsatzes fand ihren Ausdruck in der Konstituierung des Rats, abwechselnd ›Imbizi‹, ›Pitso‹ oder ›Kgotla‹ genannt, der die Angelegenheiten des Stammes regelte. Der Rat war so vollständig demokratisch, daß alle Stammesangehörigen an seinen Beratungen teilnehmen konnten. Häuptling und Untertan, Krieger und Medizinmann, alle nahmen teil und bemühten sich, die Entscheidungen des Rats zu beeinflussen. Dieser war eine so gewichtige und mächtige Körperschaft, daß der Stamm ohne ihn keinen Schritt von Bedeutung tun konnte.
    In einer solchen Gesellschaft war vieles primitiv und unsicher, und gewiß könnte sie den Forderungen der heutigen Epoche nicht gerecht werden. Doch enthält eine solche Gesellschaft den Keim einer revolutionären Demokratie, in der niemand in Sklaverei oder Knechtschaft gehalten und in der es keine Armut, keinen Mangel und keine Unsicherheit mehr geben wird. Dieser geschichtliche Hintergrund inspiriert selbst heute noch mich und meine Gefährten in unserem politischen Kampf.«
     
     
    Ich erklärte dem Gericht, wie ich dem African National Congress beigetreten war und daß seine Politik der Demokratie und des Nichtrassismus meine tiefsten Überzeugungen widerspiegelte. Als Rechtsanwalt sei ich häufig gezwungen gewesen, mich zwischen Befolgung von Gesetzen und Beruhigung meines Gewissens zu entscheiden.
    »Ich würde sagen, das ganze Leben jedes denkenden Afrikaners liegt fortwährend im Konflikt zwischen seinem Gewissen auf der einen Seite und dem

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