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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Südafrika unterdrückt, verfolgt und ausgebeutet werden.« Selbst Richter de Wet schien Yutars Rede ein Rätsel zu sein, und an einer Stelle unterbrach er ihn und fragte: »Mr. Yutar, Sie räumen ein, es ist Ihnen nicht gelungen zu beweisen, daß jemals der Guerillakrieg beschlossen wurde, nicht wahr?«
    Yutar war wie vor den Kopf geschlagen. Er war genau vom Gegenteil ausgegangen. Auch wir waren überrascht, denn die Frage des Richters erfüllte uns mit Hoffnung. Yutar erklärte dem Gericht stockend, es seien tatsächlich Vorbereitungen zum Guerillakrieg getroffen worden.
    »Ja, das weiß ich«, erwiderte de Wet ungeduldig, »das hat ja auch die Verteidigung konzediert. Allerdings erklärt sie, daß sie vor einer Festnahme nicht entschieden hätten, einen Guerillakrieg zu führen. Ich gehe davon aus, daß Sie keine Beweise haben, die dem widersprechen, und daß Sie dies akzeptieren?«
    »Wie Euer Ehren wünschen«, sagte Yutar mit erstickter Stimme.
    Yutar schloß mit den Worten, daß dieser Fall nicht nur ein Fall von Hochverrat »par excellence« sei, sondern auch von Mord und versuchtem Mord, wovon freilich in der Anklageschrift nichts stand. In einem Anfall von Wichtigtuerei verkündete er: »Ich erkühne mich zu behaupten, daß jede einzelne Beschuldigung in der Anklageschrift bewiesen worden ist.« Noch während er sprach, wußte er, daß seine Behauptungen offenkundig falsch waren.
    Verteidiger Arthur Chaskalson erhob sich als erster, um sich mit einigen der rechtlichen Fragen zu befassen, welche die Anklagevertretung aufgeworfen hatte. Er wies Yutars Behauptung zurück, der Prozeß habe etwas mit Mord zu tun, und erinnerte das Gericht daran, es sei ausdrückliche Politik des MK, kein Leben zu gefährden. Als Arthur zu erklären begann, andere Organisationen hätten die Sabotageakte verübt, die den Angeklagten zur Last gelegt würden, unterbrach ihn de Wet und erklärte, das habe er bereits als Tatsache akzeptiert. Das war ein weiterer unerwarteter Sieg.
    Als nächster sprach Bram Fischer; er war darauf vorbereitet, die beiden ernstesten Vorwürfe des Staatsanwalts zu entkräften: daß wir einen Guerillakrieg führten und daß ANC und MK ein und dasselbe seien. Obwohl de Wet gesagt hatte, er glaube, der Guerillakrieg habe noch nicht begonnen, wollten wir uns auf kein Risiko einlassen. Aber als Bram seinen ersten Punkt vortrug, unterbrach ihn de Wet ein wenig gereizt: »Ich dachte, ich hätte meine Haltung klargemacht. Ich akzeptiere, daß hinsichtlich des Guerillakriegs weder Entscheidung noch Datum fixiert war.«
    Als Bram mit seinem zweiten Punkt begann, unterbrach de Wet ihn abermals und erklärte, er konzediere auch die Tatsache, daß die beiden Organisationen getrennte seien. Bram, für gewöhnlich auf alles vorbereitet, war über diese Antwort de Wets verblüfft. Er nahm Platz. Der Richter hatte seine Argumente akzeptiert, bevor er sie vorgetragen hatte. Wir jubelten, das heißt, wenn Männer, die der Todesstrafe entgegensehen, als jubelnd zu bezeichnen sind. Das Gericht vertagte sich für drei Wochen, in denen de Wet über das Urteil nachdenken wollte.
     
    Die Welt hatte dem Rivonia-Prozeß Aufmerksamkeit gewidmet. In der St. Paul’s Cathedral in London wurden Nachtwachen für uns gehalten. Die Studenten der Londoner Universität wählten mich in Abwesenheit zum Präsidenten ihrer Students’ Union. Eine Gruppe von UN-Experten forderte einen Nationalkonvent für Südafrika, der zu einem wahrhaft repräsentativen Parlament führen sollte, und empfahl eine Amnestie für alle Gegner der Apartheid. Zwei Tage, bevor Richter de Wet sein Urteil sprechen sollte, forderte der UN-Sicherheitsrat (bei vier Stimmenthaltungen, darunter Großbritannien und die Vereinigten Staaten) die Südafrikanische Regierung auf, den Prozeß zu beenden und den Angeklagten Amnestie zu gewähren.
    In den Tagen, bis wir wieder zusammenkommen sollten, schrieb ich eine Reihe von Examensarbeiten für meinen LL.B. an der London University. Es mag sonderbar erscheinen, daß ich mich wenige Tage vor dem Urteil juristischer Examina unterzog. Gewiß wirkte es auf meine Wärter bizarr, die erklärten, daß ich dort, wohin ich ginge, keinen akademischen Grad in Jura benötigte. Aber ich hatte während der Prozeßdauer mein Studium fortgesetzt und wollte die Examina machen. In diesem Punkt war ich stur, und später wurde mir klar, daß es ein Weg war, mich von negativem Denken abzuhalten. Ich wußte, daß ich nicht ganz so bald wieder

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