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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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erwähnte, erklärte er, als Gefangene müßten wir arbeiten und wir wären vielleicht zu faul.
    Als ich über die Probleme mit unseren Zellen zu sprechen begann, unterbrach er mich mit der Bemerkung, die Bedingungen in rückständigen amerikanischen Gefängnissen seien viel schlimmer als auf Robben Island, das im Vergleich dazu ein Paradies sei. Er fügte hinzu, daß wir zu Recht verurteilt seien und von Glück sagen könnten, daß wir nicht die Todesstrafe erhalten hatten, die wir wahrscheinlich verdienten.
    Mr. Hynning schwitzte stark, und einige von uns meinten, er sei nicht ganz nüchtern gewesen. Er sprach, wie mir schien, mit Südstaatenakzent und hatte die merkwürdige Gewohnheit, beim Sprechen zu spucken, was wir noch nie zuvor gesehen hatten.
    Schließlich hatte ich genug gehört, und ich unterbrach ihn: »Sir, Sie mißverstehen die Punkte, die ich vortrage.« Hynning war beleidigt, daß ich ihm widersprach, indes General Steyn ohne Kommentar zusah und zuhörte. Unter den Umständen war es nicht leicht, Fassung zu bewahren. Die Männer waren wütend über Mr. Hynnings Bemerkungen und verärgert, daß man ihm erlaubt hatte, uns zu besuchen. Normalerweise hebt jede Art von Besuch unsere Stimmung, doch Mr. Hynnings Besuch wirkte demoralisierend. Vielleicht war es genau dies, was die Behörden wollten. Es war deprimierend, jemanden mit so eindrucksvollen Verbindungen kennenzulernen, der so wenig Verständnis aufbrachte. Schließlich machte Hynning einfach kehrt und ging wortlos davon. Es tat uns nicht leid, ihn gehen zu sehen.
    Noch jahrelang sprachen wir über Mr. Hynning, und viele Männer parodierten die komische Art seines Sprechens. Wir hörten niemals wieder von ihm, und sicherlich hat er für seine Anwaltsvereinigung auf Robben Island keine Freunde gewonnen.
     
     
    Im Gefängnis werden alle Gefangenen behördlicherseits nach einer von vier Kategorien klassifiziert: A, B, C oder D. A ist die höchste Kategorie und erhält die meisten Privilegien; D ist die niedrigste und bekommt die wenigsten. Alle politischen Gefangenen – oder was die Behörden »Sicherheitsgefangene« nennen – wurden zu Anfang automatisch als D klassifiziert. Zu den Privilegien, die diese Klassifizierungen verschafften, gehören Besuche und Briefe, Studien sowie Kauf von Lebensmitteln und von sonstigen Kleinigkeiten, alles lebenswichtige Dinge für jeden Gefangenen. Normalerweise brauchte ein politischer Gefangener Jahre, um von Status D zu C zu gelangen.
    Wir verabscheuten das Klassifizierungssystem. Es war korrupt und entwürdigend, und eine weitere Methode, Gefangene im allgemeinen und politische Gefangene im besonderen zu unterdrücken. Aber wenn wir es auch kritisierten, ignorieren konnten wir es nicht: Das Klassifizierungssystem war ein unveränderbarer Bestandteil des Gefängnislebens. Wenn man sich beschwerte, daß man als D-Gruppe-Gefangener nur alle sechs Monate einen Brief bekommen konnte, so erhielt man zur Antwort: Benehmen Sie sich besser, dann werden Sie C-Gruppe-Gefangener und können alle sechs Monate zwei Briefe bekommen. Beschwerte man sich darüber, daß man nicht genug zu essen erhielt, erinnerten einen die Behörden daran, daß man, wäre man in der A-Gruppe, von draußen Überweisungen erhalten und sich im Gefängnisgeschäft zusätzlich Lebensmittel kaufen könnte. Selbst ein Freiheitskämpfer profitiere von der Möglichkeit, Lebensmittel und Bücher kaufen zu können.
    Die Klassifizierungen verliefen allgemein parallel zur Dauer der Gefängnisstrafe. War man zu acht Jahren verurteilt worden, so gehörte man im allgemeinen für die ersten beiden Jahre zur D-Gruppe, für die beiden folgenden zur C-Gruppe, für die beiden nächsten Jahre zur B-Gruppe und für die letzten beiden Jahre zur A-Gruppe. Doch die Gefängnisbehörden benutzten das Klassifizierungssystem als Waffe gegen politische Gefangene; um unser Verhalten zu kontrollieren, drohten sie damit, unsere schwer erworbenen Klassifizierungen herabzustufen.
    Obwohl ich zuvor schon zwei Jahre im Gefängnis gewesen war, bevor man mich nach Robben Island brachte, war ich bei meiner Ankunft noch immer in der D-Gruppe. Zwar wünschte ich mir durchaus die Privilegien, die mit höheren Klassifizierungen verbunden waren, doch weigerte ich mich, Kompromisse einzugehen. Der schnellste Weg, zu einer höheren Klassifizierung zu gelangen, bestand darin, lammfromm zu sein und sich nicht zu beklagen. »Ach, Mandela«, pflegten die Wärter zu sagen, »du bist ein

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