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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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gehemmt, wozu die Anwesenheit von zwei Wärtern beitrug, die genau hinter ihr standen, und von drei weiteren unmittelbar hinter mir. Ihre Rolle war nicht nur, zu überwachen, sondern auch einzuschüchtern. Laut Vorschrift hatte das Gespräch entweder auf englisch oder auf afrikaans geführt zu werden – afrikanische Sprachen waren verboten – und durfte nur Familienangelegenheiten betreffen. Ein Abweichen von solchen Themen zu politischen konnte den sofortigen Abbruch des Besuchs zur Folge haben. Erwähnte man einen Namen, der den Wärtern unbekannt war, so unterbrachen sie das Gespräch und fragten, wer die Person sei und in welcher Beziehung man zu ihr stehe. Dies geschah oft, da die Wärter im allgemeinen mit der Vielfalt und Natur afrikanischer Namen nicht vertraut waren. Es war frustrierend, kostbare Minuten der Besuchszeit damit zu verschwenden, daß man dem Wärter die verschiedenen Zweige des Familienstammbaums erklärte. Doch ihre Ignoranz wirkte sich auch zu unseren Gunsten aus: Sie gestattete uns, Code-Name für Leute zu erfinden, über die wir sprechen wollten, und so zu tun, als handle es sich um Familienangehörige.
    Jener erste Besuch war wichtig, weil ich wußte, daß sich Winnie wegen meiner Gesundheit Sorgen machte: Sie hatte gehört, wir würden physisch mißhandelt. Ich versicherte ihr schnell, es gehe mir gut, sie könne ja selbst sehen, daß ich fit sei, wenn auch ein wenig dünner als früher. Auch sie war dünner, wofür ich immer Streß als Ursache annahm. Nach einem Besuch, bei dem Winnies Gesicht verzerrt oder abgespannt wirkte, drängte ich sie immer, doch ein wenig zuzunehmen. Sie hielt ständig Diät, und ich sagte ihr immer, sie solle das nicht tun. Ich erkundigte mich nach jedem Kind, nach meiner Mutter und meinen Schwestern und nach Winnies eigener Familie.
    Plötzlich hörte ich, wie der Wärter hinter mir sagte: »Zeit ist um! Zeit ist um!« Ich sah ihn ungläubig an. Unmöglich konnte schon eine halbe Stunde vergangen sein. Doch er hatte recht; Besuche schienen nie länger zu dauern als ein Augenblinzeln. In all den Jahren, die ich im Gefängnis verbrachte, war ich immer wieder aufs neue überrascht, wenn der Wärter rief: »Zeit ist um!« Man drängte Winnie und mich von unseren Stühlen, und wir winkten uns noch zum Abschied zu. Wenn Winnie fort war, wäre ich am liebsten immer noch ein Weilchen geblieben, nur um noch etwas zu bewahren vom Gefühl ihrer Anwesenheit, aber ich würde die Wärter eine solche Empfindung nicht sehen lassen. Während ich in meine Zelle zurückging, ließ ich mir durch den Kopf gehen, worüber wir gesprochen hatten. Während der folgenden Tage, Wochen, Monate kehrte ich wieder und wieder zu jenem einen Besuch zurück. Ich wußte, daß ich meine Frau mindestens ein halbes Jahr nicht würde sehen können. Wie sich herausstellen sollte, konnte Winnie mich zwei Jahre lang nicht wieder besuchen.
     
     
    Als wir uns an einem Morgen Anfang Januar aufstellten, um vor der Arbeit im Hof abgezählt zu werden, ließ man uns statt dessen nach draußen marschieren und in einen abgedeckten Lastwagen einsteigen: Es war das erste Mal, daß wir unseren Gebäudekomplex verließen. Niemand sagte uns, wohin es gehen solle, aber ich hatte eine Vermutung. Als wir einige Minuten später aus dem Lastwagen ausstiegen, standen wir an einem Ort, der mir aufgefallen war, als ich 1962 auf der Insel gewesen war: am Kalksteinbruch.
    Der Kalksteinbruch sah aus wie ein ungeheurer weißer Krater, der in einen Felshang geschnitten war. Die Wände und der Grund des Hangs waren blendend weiß. Oben auf dem Steinbruch standen Gras und Palmen, und am Grund war eine freie Fläche mit einigen alten Metallschuppen.
    In Empfang genommen wurden wir vom kommandierenden Offizier, Colonel Wessels, einem ziemlich farblosen Menschen, den einzig die strikte Befolgung von Gefängnisvorschriften interessierte. Wir standen stramm, während er uns erklärte, daß die Arbeit, die uns jetzt erwartete, ein halbes Jahr dauern würde, und daß wir danach für die Dauer unserer Haft leichte Aufgaben erhalten würden. Mit seiner Zeitangabe irrte er sich beträchtlich. Wir blieben im Steinbruch für die nächsten dreizehn Jahre.
    Nach der Ansprache des Colonels gab man uns Spitzhacken und Schaufeln und oberflächliche Anweisungen, wie der Kalk abzubauen sei. Die Arbeit in einem Kalksteinbruch ist keine leichte Aufgabe. Am ersten Tag betätigten wir unsere neuen Werkzeuge sehr unbeholfen und brachten nur wenig

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