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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Bogart genannt, nach dem amerikanischen Filmstar, der harte Burschen spielte. Seine Zelle lag der von Walter gegenüber, und Walter beklagte sich, daß Bogart jeden Morgen sein Frühstück verlangte, und er zu große Angst hatte es abzuschlagen.
    Die Gangmitglieder arbeiteten im Steinbruch abseits von uns in einer eigenen Gruppe. Eines Tages begannen sie etwas zu singen, das wie ein Arbeitslied klang. Es war in der Tat ein berühmtes Arbeitslied, dem sie ihren eigenen Text unterlegt hatten: »Benifunani eRivonia?«, der bedeutete: »Was habt ihr auf Rivonia gewollt?« Die nächste Zeile lautete etwa: »Habt ihr gedacht, ihr würdet die Regierung werden?« Sie sangen überlaut und mit spöttischem Unterton. Augenscheinlich waren sie von den Aufsehern aufgestachelt worden, uns mit dem Lied zu provozieren.
    Obwohl unter uns Hitzköpfe waren, die eine direkte Konfrontation vorgezogen hätten, beschlossen wir doch, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Wir hatten weit mehr und bessere Sänger als sie, und wir kauerten uns zusammen und besprachen unsere Gegenaktion. Wenige Minuten später sangen wir alle das Lied »Stimela«, eine eindrucksvolle Hymne auf einen Eisenbahnzug, der von Südrhodesien nach Süden fährt. »Stimela« ist kein politisches Lied, aber in diesem Kontext wurde es dazu, denn es ließ erkennen, daß der Zug Guerillas herantrug, die gegen die südafrikanische Armee kämpfen wollten.
    Mehrere Wochen lang sangen unsere zwei Gruppen bei der Arbeit, fügten Lieder hinzu und veränderten Texte. Unser Repertoire wurde größer, und bald sangen wir ganz offen politische Lieder wie »Amajoni«, ein Lied über Guerillasoldaten, dessen Titel eine Verballhornung des englischen Slangworts für Soldat »Johnny« war; und »Tshotsholoza«, ein Lied, das den Kampf mit dem Laut eines sich nahenden Zuges vergleicht. (Sagt man den Titel mehrmals nacheinander, so klingt er wie eine Nachahmung des Zuggeräusches.) Wir sangen ein Lied über die Freiheits-Charta, ein weiteres über die Transkei, in dessen Text es heißt: »Es gibt zwei Straßen, die eine ist die Matanzima-Straße, die andere ist die Mandela-Straße, welche willst du einschlagen?«
    Das Singen erleichterte uns die Arbeit. Einige der Männer hatten außergewöhnliche Stimmen, und oft hätte ich am liebsten meine Spitzhacke aus der Hand gelegt und einfach zugehört. Die Bandenmitglieder waren für uns keine Konkurrenz; bald schon verstummten sie, während wir unseren Gesang fortsetzten. Doch einer der Aufseher kannte sich in der Xhosa-Sprache gut aus und verstand den Inhalt unserer Lieder; und bald erhielten wir Befehl, mit dem Singen aufzuhören. (Auch Pfeifen war verboten.) Von diesem Tag an arbeiteten wir schweigend.
     
     
    Ich sah die Gangmitglieder nicht als Rivalen, sondern gleichsam als Rohmaterial, das zu verändern war. Es gab einen nichtpolitischen Gefangenen unter uns, einen Mann mit dem Spitznamen »Joe My Baby«, der sich später dem ANC anschloß und für uns eine unschätzbare Hilfe war, wenn es galt, Material in das oder aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Eines Tages hörten wir, daß Bogart im Steinbruch von einem Aufseher brutal zusammengeschlagen worden war. Die Mißhandlung erlebte ich nicht, aber ich sah die Folgen. Sein Gesicht hatte starke Verletzungen und Prellungen. Bogart kam in unserem Korridor auf mich zu und bat um Hilfe. Ich erklärte mich sofort bereit, mich seines Falles anzunehmen.
    Wir suchten stets nach Möglichkeiten, gegen die Behörden vorzugehen, und ein Bericht über eine Schlägerei war genau die Art von Vorfall, die wir dem Hauptbüro vortragen konnten. Kurz zuvor hatten wir erfahren, daß ein PAC-Mann namens Ganya von einem Wärter geschlagen worden war. In meiner Eigenschaft als Anwalt schrieb ich dem Commissioner of Prisons einen Brief, in dem ich in Ganyas Namen Protest einlegte. Man brachte mich zum Hauptbüro, wo ich mit Gefängnisbeamten konfrontiert wurde. Wie aus einem Munde bestritten sie, daß es die Schlägerei gegeben hatte, und wollten wissen, wie ich davon gehört hätte. Ich bestand darauf, daß der Aufseher, der Ganya geschlagen hatte, von der Insel entfernt würde. Die Gefängnisleitung weigerte sich und erklärte, es lägen keine Beweise gegen den Aufseher vor. Doch kurze Zeit später wurde der besagte Aufseher von der Insel versetzt.
    Dieser Fall hatte mir Mut gemacht, und so verlangte ich, als Bogart mich um Hilfe bat, sofort den Commanding Officer zu sprechen. Am nächsten Tag wurde ich zum Hauptbüro

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