Der lange Weg zur Freiheit
machte mir Spaß, meine juristischen Fähigkeiten auf dem laufenden zu halten, und in einigen Fällen wurde das Urteil aufgehoben und die Strafe vermindert. Das waren erfreuliche Siege; das Gefängnis ist darauf angelegt, daß man sich ohnmächtig fühlen soll, und dies war einer der wenigen Wege, um das System zu verändern. Vielfach lernte ich die Leute, für die ich arbeitete, nie persönlich kennen, und manchmal flüsterte mir jemand, der uns mittags den Brei brachte, ein Dankeschön zu.
Der Druck auf meine Frau ließ nicht nach. Im Jahr 1972 traten Polizisten die Tür des Hauses 8115 West-Orlando ein. Durch das Fenster flogen Backsteine, und auf die vordere Tür wurden Gewehrschüsse abgefeuert. 1974 klagte man Winnie an wegen der Verletzung ihrer Verbannungsvorschriften, die ihr jeglichen Besuch mit Ausnahme ihrer Kinder und ihres Arztes verboten. Sie arbeitete damals in einer Anwaltskanzlei, und ein Freund brachte Zeni und Zindzi in der Mittagspause zu ihr. Deshalb wurde Winnie angeklagt und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Sie kam in das Gefängnis von Kroonstad im Oranje-Freistaat, aber ihre Erlebnisse dort waren nicht so furchtbar wie bei ihrer früheren Haft in Pretoria. Winnie schrieb mir, sie fühle sich diesmal im Gefängnis geradezu befreit und es bestärke sie in ihrer Entschlossenheit zu kämpfen. Die Behörden ließen zu, daß Zindzi und Zeni sie sonntags besuchten.
Als Winnie 1975 freigelassen wurde, konnten wir durch Briefe und Nachrichtenaustausch über unsere Anwälte einen Plan ausarbeiten, damit ich Zindzi sehen konnte. Nach den Gefängnisvorschriften durften Kinder zwischen zwei und sechzehn Jahren die Häftlinge nicht besuchen. Als ich nach Robben Island kam, steckten alle meine Kinder in dieser juristischen Zwangsjacke der Altersbeschränkung. Hinter der Regel steht eine keineswegs bösartige Überlegung: Der Gesetzgeber nahm an, ein Besuch im Gefängnis könne die empfindliche Psyche eines Kindes negativ beeinflussen. Aber ähnlich schädlich wirkte sie sich wahrscheinlich auf die Gefangenen aus: Es verursacht tiefen Kummer, wenn man seine Kinder nicht sehen darf.
Im Jahr 1975 wurde Zindzi fünfzehn. Ihre Mutter hatte vor, die Geburtsurkunde um ein Jahr älter zu machen, so daß es aussah, als würde sie nicht fünfzehn, sondern sechzehn, so daß sie mich besuchen durfte. Die Geburtsregister für Afrikaner wurden nicht besonders einheitlich oder geordnet geführt, und wie Winnie feststellte, war es nicht besonders schwierig, das Geburtsdatum in den Papieren um ein Jahr zu ändern. Sie beantragte eine Besuchserlaubnis, und sie wurde auch erteilt.
Zindzi sollte im Dezember kommen. Ein paar Wochen vorher stattete Winnies Mutter mir einen schon länger verabredeten Besuch ab. Als ich ihr im Besucherzimmer gegenübersaß, sagte ich: »Weißt du, Mama, ich bin sehr aufgeregt, weil ich Zindzi bald sehen werde.« Meine Schwiegermutter, früher Lehrerin, sah mich überrascht an und sagte dann recht mürrisch: »Nein, Zindzi kann dich nicht besuchen, sie ist doch noch nicht sechzehn.«
Sofort fiel mir ein, daß niemand ihr etwas von unserem Schachzug erzählt hatte. Hinter ihr und mir stand jeweils ein Aufseher, und ich entschloß mich, ihre Worte einfach zu übergehen. Ich murmelte nur: »Ach, nichts, Mama!«
Aber meine Schwiegermutter ist eine hartnäckige Frau, und sie ließ sich nicht abwimmeln. »Weißt du, Mkonyanisi« – mit diesem liebevollen Xhosa-Namen für einen Schwiegersohn redete sie mich an – »ihr habt einen schweren Irrtum begangen, Zindzi ist doch erst fünfzehn.«
Ich riß die Augen in höchster Erregung auf, und das muß sie wohl verstanden haben, denn sie erwähnte Zindzi nicht mehr.
Ich hatte Zindzi seit ihrem dritten Lebensjahr nicht mehr gesehen. Sie kannte ihren Vater fast nur von Fotos und kaum aus eigener Erinnerung. Ich zog an jenem Morgen ein frisches Hemd an und gab mir mehr Mühe mit meinem Aussehen als sonst: Es war meine eigene Eitelkeit, aber ich wollte für meine jüngste Tochter nicht wie ein alter Mann aussehen.
Mit Winnie war ich seit über einem Jahr nicht mehr zusammengekommen, und ich freute mich, daß sie gesund aussah. Wirklich entzückt war ich aber, als ich sah, zu was für einer hübschen jungen Frau meine jüngste Tochter herangewachsen war und wie stark sie ihrer ebenso schönen Mutter ähnelte.
Zindzi war anfangs schüchtern und zurückhaltend. Nach meiner sicheren Überzeugung war es für sie alles in allem nicht
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