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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Unzufriedenheit in den Lagern und von Mißhandlungen durch MK-Offiziere. Ich bat ihn, die Angelegenheit für sich zu behalten, und es gelang mir, einen Brief an Oliver hinauszuschmuggeln; darin vertrat ich die Ansicht, daß Reformen in den Lagern notwendig waren.
    Eines Tages – ich war gerade auf dem Weg ins Hauptbüro zu einem Gespräch mit Oberst Willemse – sah ich Jimmy vor dem Büro eines anderen Beamten. Er wandte sich an mich und sagte ziemlich aufgeregt: »Sie weigern sich, mir meinen Brief auszuhändigen.«
    »Mit welcher Begründung?« fragte ich zurück.
    »Sie behaupten, er enthielte etwas, das ich nicht lesen darf«, sagte er. Ich ging in das Büro, um die Angelegenheit zu besprechen, aber bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, platzte Jimmy dazwischen und sagte laut zu dem Beamten: »Geben Sie mir meinen Brief!« Er versuchte, mich zur Seite zu drängen und sich den Brief selbst vom Schreibtisch zu nehmen. Daraufhin griff der Beamte den Brief und stellte sich hinter meinen Rücken, als solle ich ihn vor Jimmy schützen. In einem Film hätte das Ganze vielleicht eine komische Szene abgegeben, aber damals war es nervenaufreibend. Ich wandte mich an Jimmy und sagte ruhig, aber bestimmt: »Bitte nicht so. Beruhige dich. Ich werde die Angelegenheit klären und zusehen, daß du deinen Brief bekommst. Aber jetzt geh bitte hinaus.«
    Meine Worte hatten die gewünschte Wirkung, und Jimmy verließ das Büro. Dann wandte ich mich dem Beamten zu, der völlig durcheinander war. Ich befand mich in einer seltsamen Lage. Ich widersetzte mich nicht den Behörden, sondern ich vermittelte zwischen meinen eigenen Leuten und denen, gegen die ich so lange gekämpft hatte. Durch die militante Art der Neuankömmlinge auf der Insel geriet ich immer öfter in diese Position. Einerseits ermutigte uns die Radikalität dieser Männer, aber andererseits machte sie unser Alltagsleben manchmal auch beschwerlicher.
    Nach einer Woche händigte der Beamte mir Jimmys Brief aus.
     
     
    Eines Morgens gingen wir nicht zum Steinbruch, sondern man befahl uns, die Ladefläche eines Lastwagens zu besteigen. Wir rumpelten in einer anderen Richtung davon, und eine Viertelstunde später mußten wir wieder herabklettern. Vor uns lag im glitzernden Morgenlicht das Meer mit der Felsküste, und weit entfernt blinkten die gläsernen Türme von Kapstadt in der Sonne. Es war zwar eine optische Täuschung, aber die Stadt mit dem dahinter aufragenden Tafelberg sah so herzzerreißend nah aus, als ob man nur den Arm ausstrecken müßte, um sie zu ergreifen.
    Der ranghöchste Offizier erklärte, man habe uns an die Küste gebracht, damit wir Seetang einsammelten. Man wies uns an, die großen, am Strand angeschwemmten Stücke aufzusammeln und hinauszuwaten, um den Seetang zu ernten, der sich an Felsen und Korallen festgesetzt hatte. Der Tang selbst war lang, schleimig und bräunlichgrün gefärbt. Manchmal waren die Stücke etwa zwei Meter lang und zwölf Kilo schwer. Den Tang aus dem seichten Wasser legten wir in Reihen auf dem Strand ab, und wenn er getrocknet war, luden wir ihn auf den Lastwagen. Man sagte uns, er werde nach Japan exportiert und diene dort als Dünger.
    Die Arbeit kam uns an diesem Tag nicht besonders anstrengend vor, aber in den folgenden Wochen und Monaten stellten wir fest, daß sie zu einer großen Belastung werden konnte. Selbst das machte uns jedoch kaum etwas aus, denn wir hatten den Genuß und die Ablenkung durch den Panoramablick: Wir beobachteten Fischdampfer bei der Arbeit und imposante Tanker, die sich langsam am Horizont entlangbewegten; wir sahen zu, wie Möwen sich Fische aus dem Wasser angelten, während Robben auf den Wellen ihre Possen trieben; wir lachten über eine Kolonie von Pinguinen, die aussahen wie schwerfällige Soldaten mit Plattfüßen; und wir bestaunten das tägliche Wetterschauspiel über dem Tafelberg mit seiner wechselnden Bekrönung aus Wolken und Sonne.
    Im Sommer fühlte sich das Wasser herrlich an, aber im Winter machte der eisige Benguelastrom das Hinauswaten in die Wellen zur Qual. Die Felsen an der Küste und in ihrer Nähe waren zerklüftet, so daß wir uns bei der Arbeit oft die Beine aufschürften. Dennoch zogen wir das Meer dem Steinbruch vor; leider brachten wir immer nur einige Tage hintereinander an der Küste zu.
     
     
    Der Ozean erwies sich als Schatztruhe. Ich fand wunderschöne Korallenstücke und raffiniert geformte Schnecken, und manchmal nahm ich solche Funde mit in meine

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