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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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mir. Dem Strafverfolger rief ich zu: »Sagen Sie diesem Mann, daß die Dokumente durch das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant geschützt sind und daß ich sie ihm nicht aushändigen muß.« Der Strafverfolger erwiderte, das stimme zwar, aber das Verfahren sei vorüber, die Sitzung sei geschlossen und der Offizier sei der einzige noch im Raum anwesende Behördenvertreter. Der Offizier riß die Akte vom Tisch. Ich konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten. Nach meiner Überzeugung ließ man das Verfahren nur fallen, um an dieses Papier zu gelangen – das, wie sie bald merkten, nichts enthielt, was sie nicht bereits wußten.
    Es schien zwar fast unmöglich zu sein, aber ich dachte dennoch während der ganzen Zeit auf der Insel über Flucht nach. Mac Maharaj und Eddie Daniels, zwei mutige und erfindungsreiche Männer, brüteten ständig über Plänen und diskutierten Möglichkeiten. Die meisten waren viel zu gefährlich, aber das hielt uns nicht davon ab, sie zu durchdenken.
    Wir hatten gewisse Fortschritte gemacht. Jeff Masemola, unser bester Handwerker, hatte einen Generalschlüssel hergestellt, der auf die meisten Türen in unserem Abschnitt und in der Umgebung paßte. Irgendwann hatte ein Aufseher seinen Schlüssel in dem Büro am Ende unseres Korridors auf dem Schreibtisch liegengelassen. Jeff nahm ein Stück Seife und machte einen Abdruck. Anhand dieser Vorlage feilte er ein Stück Metall in der richtigen Form zurecht. Der Schlüssel verschaffte uns Zugang zu einigen Lagerräumen hinter unseren Zellen und zum Isolierabschnitt. Wir benutzten ihn aber nie, um unseren Block zu verlassen. Schließlich war da das Meer als unüberwindliches Hindernis rund um Robben Island.
    Im Jahr 1974 hatte Mac eine Idee, wie wir diese Schranke überqueren konnten. Kurz zuvor hatte man ihn zu einer Zahnbehandlung nach Kapstadt gebracht, und dabei hatte er festgestellt, daß der Zahnarzt selbst mit einem bekannten politischen Häftling verschwägert war. Der Zahnarzt war ein sympathischer Mann. Er hatte sich strikt geweigert, Mac zu behandeln, solange diesem die Fußfesseln nicht abgenommen würden. Wie Mac außerdem festgestellt hatte, konnte man vom Fenster des Wartezimmers aus, das im zweiten Stock lag, mit einem kleinen Sprung eine ruhige Seitenstraße erreichen und das Weite suchen.
    Als Mac zurückkam, setzte er sich mit einigen von uns zusammen und drängte uns, Zahnarzttermine auszumachen. Das taten wir auch, und dann erfuhren wir, daß Mac, Wiltoh Mkwayi, ich und ein anderer Häftling an einem bestimmten Tag nach Kapstadt fahren sollten. Wir drei waren gewillt, den Versuch zu wagen, aber als Mac den vierten Mann ansprach, weigerte er sich. Wir hatten Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieses Mannes, und es beunruhigte mich, daß er in unsere Pläne eingeweiht war.
    Unter schwerer Bewachung brachte man uns drei per Schiff nach Kapstadt und dann zur Praxis des Zahnarztes. Wir alle waren als Soldaten ausgebildet, und hier bot sich wahrscheinlich die beste Fluchtmöglichkeit. Mac hatte ein Messer dabei und war auch gewillt, es anzuwenden. In der Zahnarztpraxis schickten unsere Wächter zunächst alle anderen Patienten weg. Wir verlangten, daß man uns die Fußfesseln abnahm, und da der Zahnarzt uns unterstützte, kamen die Aufseher der Forderung nach.
    Mac führte uns zu dem Fenster und zeigte uns die Straße, die zu unserem Fluchtweg werden sollte. Aber dort draußen gab es etwas, das Mac schon auf den ersten Blick störte: Wir befanden uns am hellichten Tag im Zentrum von Kapstadt, und dennoch war die Straße leer. Als er zum erstenmal hiergewesen war, hatte viel Verkehr geherrscht. »Das ist ein abgekartetes Spiel«, flüsterte Mac. Ich hatte ebenfalls das Gefühl, daß etwas nicht stimmte, und schloß mich seiner Meinung an. Wilton, dessen Adrenalinspiegel bereits stieg, hielt Macs Gerede für Unsinn. »Madiba, du verlierst die Nerven«, sagte er. Aber ich war der gleichen Meinung wie Mac, und so blieb es dabei, daß wir nur unsere Zähne untersuchen ließen. Der Zahnarzt fragte sich, warum ich mitgekommen war, denn meine Zähne waren in Ordnung.
    Während Mac die praktikabelsten Fluchtpläne schmiedete, brütete Eddie Daniels die phantasievollsten aus. In den ersten Jahren durften Flugzeuge die Insel nicht überfliegen. Mitte der siebziger Jahre bemerkten wir über unseren Köpfen jedoch nicht nur Flugzeuge, sondern auch Hubschrauber, die zu den Tankern vor der Küste und wieder zurück flogen. Nach einem Plan, den

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