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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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körperlich arbeiten mußten, hatte ich mehr Zeit zum Lesen, aber die Bücher, die ich zuvor gebraucht hatte, waren mir jetzt verboten. Als mir das Studium gestrichen wurde, war ich gerade dabei, das LL. B. der University of London zu machen. Ich hatte mit diesem Studiengang während des Rivonia-Prozesses begonnen, und die Tatsache, daß die Vergünstigung des Studierens vier Jahre lang ausgesetzt war, sicherte mir zweifellos den Rekord für die längste Studiendauer bis zu diesem Examen.
    Aber die Aussetzung des Studienprivilegs hatte auch einen unbeabsichtigten Nutzeffekt: Ich las jetzt Bücher, mit denen ich mich sonst nicht beschäftigt hätte. Statt über dicken Bänden über Vertragsrecht zu brüten, ließ ich mich jetzt von Romanen fesseln.
    Es gab auf Robben Island keine unbegrenzte Auswahl an Lesestoff. Wir hatten Zugang zu vielen vergessenen Abenteuer- und Kriminalromanen sowie zu sämtlichen Werken von Daphne du Maurier, aber das war fast schon alles. Politische Bücher waren verboten. Werke über Sozialismus oder Kommunismus waren mit Sicherheit nicht zu haben. Der Wunsch nach einem Buch, dessen Titel das Wort »rot« enthielt, und wenn es nur »Der kleine rote Reiterhelm« hieß, wurde von den Zensoren zurückgewiesen. »Krieg der Welten« von H. G. Wells, obwohl ein Sciencefiction-Roman, wurde ebenfalls nicht zugelassen, weil im Titel das Wort »Krieg« vorkam.
    Von Anfang an versuchte ich, mir Bücher über Südafrika oder von südafrikanischen Autoren zu verschaffen. Ich las alle nicht verbotenen Romane von Nadine Gordimer und erfuhr dabei eine Menge über die Einfühlsamkeit der liberalen Weißen. Außerdem lernte ich viele amerikanische Romane kennen; besonders erinnere ich mich an »Früchte des Zorns« von John Steinbeck, denn ich entdeckte viele Ähnlichkeiten zwischen der Not der Wanderarbeiter in dem Roman und unseren eigenen Fabrik- und Landarbeitern.
    Ein Buch, zu dem ich immer wieder zurückkehrte, war Tolstois großartiger Roman »Krieg und Frieden«. (Obwohl auch dieser Titel das Wort »Krieg« enthält, war das Buch erlaubt.) Besonders fesselte mich die Beschreibung des Generals Kutusow, den am russischen Hof alle unterschätzten. Kutusow schlug Napoleon genau deshalb, weil er sich nicht von den flüchtigen, oberflächlichen Wertvorstellungen am Hof beeinflussen ließ, sondern seine Entscheidungen auf eine genaue Kenntnis seiner Leute und seines Volkes stützte. Das erinnerte mich wieder einmal daran, daß man ein Volk nur dann wirklich führen kann, wenn man es genau kennt.
    Im Anschluß an den Schüleraufstand von Soweto erfuhr ich, daß Winnie und ihr alter Freund und Arzt Dr. Ntatho Motlana sich in der Black Parents Association engagierten, einer Organisation betroffener örtlicher Berufstätiger und Kirchenführer, die als lenkende Hand und Vermittler für die Schüler fungierten. Die Behörden schienen dieser Elternorganisation ebenso argwöhnisch gegenüberzustehen wie den Schülern. Im August, knapp zwei Monate nach dem Schüleraufstand, wurde Winnie auf der Grundlage des Gesetzes für Innere Sicherheit festgenommen und ohne Anklage im Fort von Johannesburg inhaftiert; fünf Monate lang hielt man sie dort fest. In dieser Zeit konnte ich ihr schreiben, ebenso wie meinen Töchtern, die in Swaziland in einem Internat waren, und in meinen Briefen drückte ich Unterstützung und Solidarität aus. Ich war wegen ihrer Verhaftung sehr bedrückt, aber offenbar wurde sie diesmal nicht mißhandelt, und als sie im Dezember aus dem Gefängnis kam, war sie noch fester als zuvor zum Kampf entschlossen.
    Obwohl Winnie gebannt war, fing sie da wieder an, wo sie aufgehört hatte, und die Behörden waren bestürzt darüber, wie populär sie bei den jungen Radikalen von Soweto war. Man war entschlossen, ihren Einfluß zurückzudrängen, und dazu bediente man sich einer harten, schamlosen Methode: Man schickte sie ins innere Exil. Am Abend des 16. Mai 1977 bezogen Polizeiautos und ein Lastwagen Stellung vor dem Haus in West-Orlando, und man lud Möbel und Kleidung ein. Diesmal wurde Winnie weder unter Arrest gestellt noch verhaftet oder verhört; man verbannte sie vielmehr in eine abgelegene Township namens Brandfort im Freistaat. Die Einzelheiten erfuhr ich von Kathy, der die Information von einem Hindupriester hatte.
    Brandfort liegt etwa 400 Kilometer südwestlich von Johannesburg unmittelbar nördlich von Bloemfontein im Freistaat. Nach einer langen, unangenehmen Fahrt wurden Winnie, Zindzi und

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