Der lange Weg zur Freiheit
weiter.
Als er sich wieder zu beruhigen begann, wies ich ihm den Weg zum Haus meines Freundes und Anwalts Dullah Omar, der im indischen Viertel der Stadt wohnte. Dort könnten wir hinfahren, meinte ich, und uns ein paar Minuten entspannen. Das sagte ihm zu. Zum Glück waren Dullah und seine Familie zu Hause, aber sie waren nicht schlecht erstaunt, uns zu sehen. Zum erstenmal seit 27 Jahren war ich ein freier Mann, doch sie fragten besorgt und erstaunt: »Sollten Sie nicht eigentlich auf dem Grand Parade sein?«
Bei Dullah konnten wir etwas Kaltes trinken, doch schon nach wenigen Minuten rief Bischof Tutu an. Ich weiß nicht, woher er wußte, wo wir waren. Er war ziemlich bekümmert und sagte: »Nelson, Sie müssen sofort zum Grand Parade zurückkommen. Die Leute werden unruhig. Wenn Sie nicht sofort wiederkommen, kann ich mich nicht für das verbürgen, was dort passiert. Es könnte zu einem Aufstand kommen!« Ich sagte, ich würde sofort kommen.
Unser Problem war der Fahrer. Er hatte nicht die geringste Lust, zum Grand Parade zurückzukehren. Aber ich protestierte, und bald waren wir auf dem Rückweg zum Rathaus. Das Gebäude war auf allen Seiten von Menschen umringt, aber auf der Rückseite stand die Menge nicht so dicht, und es gelang dem Fahrer, den Hintereingang zu erreichen. Es dämmerte schon fast, als ich in das obere Stockwerk dieses stattlichen Gebäudes geführt wurde, durch dessen Gänge stets weiße Beamte schlurfen. Ich trat hinaus auf den Balkon und erblickte eine unübersehbare Menschenmenge. Die Leute trugen Fahnen und Banner, jubelten, klatschten und lachten.
Ich hob vor der Menge die Faust, und ungeheurer Jubel war die Reaktion. Dieser Jubel flößte mir neuen Kampfgeist ein. »Amandla!« rief ich. »Ngawethu!« antworteten sie. »Afrika!« schrie ich. »Mayibuye!« antworteten sie. Als die Menge sich schließlich ein wenig beruhigt hatte, nahm ich meine Rede heraus und griff dann in die Brusttasche nach meiner Brille. Sie war nicht da; ich hatte sie in Victor Verster vergessen. Ich wußte, daß Winnies Gläser eine ähnliche Stärke hatten, und so lieh ich mir ihre Brille.
»Freunde, Kameraden und südafrikanische Landsleute. Ich grüße euch alle im Namen von Frieden, Demokratie und Freiheit für alle! Ich stehe hier vor euch nicht als Prophet, sondern als euer bescheidener Diener, als Diener des Volkes. Eure unermüdlichen und heroischen Opfer haben es möglich gemacht, daß ich heute hier bin. Deshalb lege ich die verbleibenden Jahre meines Lebens in eure Hände.«
Ich sprach von Herzen. Zuerst wollte ich den Leuten sagen, daß ich kein Messias war, sondern ein gewöhnlicher Mensch, der aufgrund außergewöhnlicher Umstände zum Führer geworden war. Dann wollte ich unverzüglich den Menschen in aller Welt danken, die sich für meine Freilassung eingesetzt hatten. Ich dankte den Leuten von Kapstadt und grüßte Oliver Tambo und den African National Congress, Umkhonto We Sizwe, die Kommunistische Partei Südafrikas, die UDF, den South African Youth Congress, COSATU, das Mass Democratic Movement, die National Union of South African Students und eine Gruppe von Frauen, die seit langer Zeit eine Stimme des Gewissens war. Ich sprach auch meiner Frau und meiner Familie öffentlich meinen Dank aus und sagte: »Ich bin überzeugt, daß ihre Schmerzen und Leiden weit größer waren als meine eigenen.«
Ich sagte der Menge unmißverständlich, daß die Apartheid in Südafrika keine Zukunft habe und daß sie nicht aufhören dürfe, sich massenhaft für dieses Ziel einzusetzen. »Der Anblick der Freiheit am Horizont sollte uns ermutigen, unsere Anstrengungen zu verdoppeln.« Ich hielt es für wichtig, öffentlich meine Gespräche mit der Regierung zu erklären. »Heute«, sagte ich, »möchte ich euch berichten, daß meine Gespräche mit der Regierung darauf abzielten, die politische Situation im Lande zu normalisieren. Ich möchte betonen, daß ich selbst zu keiner Zeit in Verhandlungen über die Zukunft unseres Landes eingetreten bin, außer, um auf einem Treffen zwischen dem ANC und der Regierung zu bestehen.«
Ich drückte meine Hoffnung aus, ein Klima, das zu Verhandlungsvereinbarungen führen könne, werde bald erreicht sein und den bewaffneten Kampf überflüssig machen. Die Schritte, um ein solches Klima zu erzielen, sagte ich, seien in der Harare-Deklaration des ANC von 1989 umrissen worden. Als Vorbedingung für wirkliche Verhandlungen, sagte ich, müsse die Regierung sofort den
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