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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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gehört, die sich als Freiheitskämpfer verkleideten, unschuldige Menschen belästigten und Fahrzeuge in Brand steckten; diese Gauner hätten keinen Platz in unserem Kampf. Freiheit ohne Kultur, Freiheit ohne die Möglichkeit, in Frieden zu leben, sei keine wirkliche Freiheit.
    »Heute erfüllt meine Rückkehr nach Soweto mein Herz mit Freude. Gleichzeitig komme ich mit einer tiefen Traurigkeit zurück. Traurigkeit, zu erfahren, daß ihr noch immer unter einem unmenschlichen System leidet. Die Wohnungsknappheit, die Schulkrise, die Arbeitslosigkeit und die Verbrechensrate sind noch immer groß. So stolz ich bin, ein Teil der Gemeinschaft von Soweto zu sein, so sehr haben mich die Verbrechensstatistiken verstört, die ich in den Zeitungen gelesen habe. Obwohl ich die Entbehrungen verstehe, unter denen unser Volk leidet, muß ich doch klarstellen, daß die Kriminalitätsrate in der Township ungesund ist und dringend beseitigt werden muß.«
     
    Ich schloß damit, daß ich allen Südafrikanern mit gutem Willen und guten Absichten die Arme öffnete, und sagte, daß »kein Mann und keine Frau, die die Apartheid aufgegeben haben, aus unserer Bewegung zu einem nichtrassistischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle ausgeschlossen werden«. Das sei die Mission des ANC, das Ziel, das ich während meiner vielen einsamen Jahre im Gefängnis immer vor Augen gehabt habe, das Ziel, für das ich in den verbleibenden Jahren meines Lebens arbeiten würde. Es sei der Traum, den ich gehegt hatte, als ich mit 45 Jahren ins Gefängnis gekommen sei, aber nun sei ich kein junger Mann mehr und könne es mir mit meinen 71 Jahren nicht leisten, Zeit zu vergeuden.
    An diesem Abend kehrte ich mit Winnie zur Nummer 8115 in West-Orlando zurück. Erst da wußte ich auch innerlich, daß ich das Gefängnis verlassen hatte. Für mich war 8115 der Mittelpunkt meiner Welt, der Ort, der in meiner geistigen Geographie mit einem X gekennzeichnet war. Das Haus war nach dem Feuer solide wieder aufgebaut worden. Als ich die vier Zimmer sah, war ich überrascht, um wieviel kleiner und bescheidener das Haus war, als ich es in Erinnerung hatte. Verglichen mit meinem Haus in Victor Verster hätte Nummer 8115 das Dienstbotenquartier im Hinterhof sein können. Doch jedes Haus, in dem ein Mann frei ist, ist seine Burg, auch wenn man es mit dem feudalsten Gefängnis vergleicht.
    So glücklich ich auch war, zu Hause zu sein, hatte ich doch das Gefühl, daß mir an diesem Abend das versagt wurde, was ich mir am meisten gewünscht und wonach ich mich gesehnt hatte. Ich hatte Sehnsucht danach, wieder ein normales, gewöhnliches Leben zu führen, einige Fäden meines Lebens als junger Mann wieder aufzunehmen, morgens ins Büro zu gehen und abends zu meiner Familie zurückzukommen, einfach hinauszugehen und in der Apotheke Zahnpasta zu kaufen oder abends alte Freunde zu besuchen. Diese gewöhnlichen Dinge sind das, was man im Gefängnis am meisten vermißt. Man träumt davon, sie zu tun, wenn man frei ist. Doch ich merkte schnell, daß solche Dinge nicht möglich sein würden. An diesem und jedem folgenden Abend in den nächsten Wochen und Monaten war das Haus von Hunderten von Sympathisanten umringt. Die Menschen sangen und tanzten und riefen, und ihre Freude war ansteckend. Sie waren mein Volk, und ich hatte nicht das Recht und nicht den Wunsch, mich ihnen zu verweigern. Doch indem ich mich meinem Volk gab, sah ich, daß ich mich meiner Familie aufs neue entzog.
    Wir schliefen nicht viel in dieser Nacht, da der Gesang bis in die Morgenstunden andauerte, als Mitglieder von ANC und UDF, die das Haus bewachten, die Menge baten, still zu sein und uns ausruhen zu lassen. Es gab viele im ANC, die mir rieten, in ein einige Blocks entfernt im Bezirk Diepkloof stehendes Haus zu ziehen, das Winnie gebaut hatte, während ich im Gefängnis war.
    Nach Soweto-Maßstäben war es ein prächtiges Haus, aber für mich beherbergte es keine bedeutungsschweren Erinnerungen. Außerdem war es ein Haus, das aufgrund seiner Größe und seiner Kosten für einen Volksführer irgendwie unangemessen wirkte. Ich lehnte den Rat ab, solange ich konnte. Ich wollte nicht nur unter meinem Volk leben, sondern auch so wie mein Volk.
     
     
    Als erstes hatte ich der ANC-Führung zu berichten, und am 27. Februar, wenig mehr als zwei Wochen nach meiner Freilassung, flog ich zu einem Treffen mit dem Nationalen Exekutivkomitee nach Lusaka. Es war ein

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