Der lange Weg zur Freiheit
meiner Delegation hineinzugeleiten, denn ich befürchtete, es werde die Hölle losbrechen, wenn ich hineinginge, und die anderen könnten dann von mir getrennt werden. Doch der Polizist drängte mich, zuerst einzutreten, und tatsächlich, sobald ich in der Halle war, stürmte die Menge heran und durchbrach die Polizeikette. In ihrem Enthusiasmus wurde ich angerempelt und auch ein wenig geschlagen, und irgendwann verlor ich in der allgemeinen Verwirrung einen Schuh. Als sich die Menge einige Minuten später ein wenig beruhigt hatte, konnte ich weder feststellen, wo mein Schuh, noch, wo meine Frau war. Nach etwa einer halben Stunde wurde Winnie schließlich zu mir auf die Tribüne gebracht, ganz verärgert darüber, daß sie verlorengegangen war. Ich konnte nicht einmal ein Grußwort sprechen, denn die Menge schrie so laut »Mandela! Mandela!«, daß man mich durch den Lärm nicht hören konnte, und schließlich machte ich mich davon, ohne meinen Schuh und mit einer ungewöhnlich schweigsamen Frau.
In Kairo hielt ich auch eine Pressekonferenz ab, in der ich erklärte, der ANC sei »bereit, über eine Einstellung der Feindseligkeiten nachzudenken«. Das war ein Signal für die Regierung. ANC wie Regierung waren bestrebt, ein Klima herzustellen, in dem Verhandlungen zum Erfolg würden führen können. Während der ANC forderte, die Regierung solle die Situation im Lande normalisieren, indem sie den Notstand aufhebe, wollte die Regierung den ANC zuerst dazu bewegen, auf den bewaffneten Kampf zu verzichten. Wenngleich wir noch nicht bereit waren, einen solchen Verzicht anzukündigen, so wollten wir doch Mr. de Klerk ausreichend Ermutigung verschaffen, seine Reformstrategie weiterzuverfolgen. Wir wußten, daß wir am Ende den bewaffneten Kampf aufgeben würden, zum Teil um ernsthaftere Verhandlungen zu ermöglichen, zum Teil auch um Mr. de Klerk in die Lage zu versetzen, vor seine Klientel, die weißen Wähler in Südafrika, hinzutreten und zu erklären: »Seht, das sind die Früchte meiner Politik.«
Nach meiner letzten Station in Afrika flog ich nach Stockholm, um Oliver zu besuchen. Auf das Wiedersehen mit meinem alten Freund und Anwaltspartner freute ich mich am meisten. Oliver ging es nicht gut, doch als wir uns trafen, waren wir wie zwei kleine Jungen im Veld, die Kraft bezogen aus ihrer Liebe zueinander. Wir sprachen zunächst von alten Zeiten, doch als wir allein waren, schnitt er als erstes das Thema der Leitung der Organisation an. »Nelson«, sagte er, »du mußt nun das Amt des ANC-Präsidenten übernehmen. Ich habe den Platz nur für dich warmgehalten.« Ich widersprach und erklärte ihm, er habe die Organisation im Exil weit besser geführt, als ich es je hätte tun können. Es sei weder fair noch demokratisch, auf diese Weise das Amt zu übergeben. »Du bist von der Organisation zum Präsidenten gewählt worden«, erklärte ich. »Laß uns bis zu einer Wahl warten. Dann kann die Organisation entscheiden.« Oliver protestierte, doch ich gab nicht nach. Sein Wunsch, mich zum Präsidenten zu bestimmen, war ein Zeichen seiner Demut und seiner Selbstlosigkeit, doch er entsprach nicht den Prinzipien des ANC.
Im April 1990 flog ich nach London, um an einem Konzert in Wembley teilzunehmen, das mir zu Ehren gegeben wurde. Viele international bekannte Künstler, von denen ich die meisten nicht kannte, traten auf, und die Vorstellung wurde weltweit im Fernsehen übertragen. Ich benutzte die Gelegenheit, um den Gegnern der Apartheid in aller Welt für ihre unschätzbare Arbeit zu danken, für die Durchsetzung von Sanktionen, für meine Freilassung und die meiner Mitgefangenen und für die echte Hilfe und Solidarität, die sie dem unterdrückten Volk meines Landes bewiesen hätten.
Alsich aus dem Gefängnis kam, war Häuptling Manosuthu Buthelezi, Vorsitzender der Inkatha Freedom Party und Chief Minister von KwaZulu, einer der bedeutendsten Schauspieler auf der politischen Bühne Südafrikas. Doch in ANC-Kreisen war er durchaus keine populäre Gestalt. Häuptling Buthelezi stammte von dem großen Zulu-König Catywayo ab, der die Briten 1879 in der Schlacht von Isandlwana geschlagen hatte. Als junger Mann hatte er Fort Hare besucht und sich dann der ANC-Jugendliga angeschlossen. Ich hielt ihn für einen der künftigen jungen Führer der Bewegung. Mit stillschweigender Unterstützung des ANC war er Chief Minister des KwaZulu-Homeland geworden, und selbst seine Gründung der Inkatha als einer Organisation der
Weitere Kostenlose Bücher