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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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waren unrealistisch. Jeder Soldat würde es vorziehen, seinen Gegner auf dem Schlachtfeld zu besiegen, doch in diesem Fall war ein solcher Sieg nicht erreichbar. Der Kampf fand nun am Verhandlungstisch statt. Ich hielt ihnen entgegen, daß sie die Sache nicht voranbrächten, wenn sie im Gefängnis blieben. Sie könnten draußen von größerem Nutzen sein als drinnen. Am Ende erklärten sie sich einverstanden, das Angebot der Regierung anzunehmen.
    Anfang Juli sollte ich zu einer sechswöchigen Reise durch Europa und Nordamerika aufbrechen. Zuvor traf ich mich privat mit Mr. de Klerk, der die Frage von Sanktionen erörtern wollte. Vor dem Hintergrund des Wandels, den er in Südafrika herbeigeführt hatte, bat er mich, das Verlangen nach Fortsetzung der internationalen Sanktionen nicht zur Sprache zu bringen. Obwohl wir durchaus anerkannten, was Mr. de Klerk getan hatte, waren nach unserer Ansicht Sanktionen das beste Mittel, um ihn zu zwingen, noch mehr zu tun. Mir war bekannt, daß die Europäische Gemeinschaft und die Vereinigten Staaten geneigt waren, die Sanktionen aufgrund der Reformen de Klerks zu lockern. Ich erklärte Mr. de Klerk, wir könnten die, die uns unterstützten, nicht auffordern, die Sanktionen zu lockern, solange er die Apartheid nicht völlig aufgegeben hätte und eine Übergangsregierung gebildet sei. Er war zwar über meine Antwort enttäuscht, doch nicht überrascht.
    Die Reise führte Winnie und mich zunächst nach Paris, wo François Mitterrand und seine reizende Frau Danielle, die den ANC seit langem unterstützte, uns einen großartigen Empfang bereiteten. Es war nicht meine erste Reise zum europäischen Festland, aber ich war über die Schönheiten der Alten Welt erneut entzückt. Obwohl ich die Lieblichkeit der »Stadt der Lichter« nicht schmälern möchte, so war das wichtigste Ereignis während meines Aufenthalts in Frankreich doch, daß die südafrikanische Regierung den Notstand aufhob. Ich war zwar erfreut, wußte aber doch, daß sie zu dieser Maßnahme während meiner Europareise gegriffen hatte, um meine Forderung nach Sanktionen zu konterkarieren.
    Nach Zwischenaufenthalten in der Schweiz, in Italien und den Niederlanden reiste ich nach England, wo ich mit Oliver und Adelaide zwei Tage zu Besuch weilte. Mein nächstes Ziel waren die Vereinigten Staaten, doch ich wollte auf meinem Rückweg nach Südafrika noch einmal nach England kommen, um dort mit Mrs. Thatcher zusammenzutreffen. Aus Höflichkeit telefonierte ich mit ihr vor meiner Abreise, und Mrs. Thatcher erteilte mir eine gestrenge, aber wohlgemeinte Lektion. Sie teilte mir mit, sie habe meine Reisen verfolgt und bemerkt, bei wie vielen Ereignissen ich jeden Tag zugegen gewesen sei. »Mr. Mandela, bevor wir über irgendeine Frage reden«, sagte sie, »muß ich Sie darauf hinweisen, daß Ihr Programm zu aufreibend ist. Sie müssen es um die Hälfte kürzen. Selbst ein Mann, der nur halb so alt ist wie Sie, hätte Schwierigkeiten, wollte er allen Forderungen, die man an Sie stellt, gerecht werden. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie nicht lebend aus Amerika zurückkehren. Das möchte ich Ihnen als Rat mitgeben.«
    Ich habe über New York gelesen, seit ich ein junger Mann war, und es schließlich vom Grund seiner großen Wolkenkratzer-Canyons zu erleben, während Millionen über Millionen Konfettistreifen herabregnen, das ist schon ein atemberaubendes Schauspiel. Es hieß, eine Million Menschen hätten unsere Fahrt durch die Stadt persönlich gesehen, und die Zustimmung und den Enthusiasmus zu erleben, die sie dem Kampf gegen die Apartheid entgegenbrachten, stimmte wahrlich demütig. Ich habe immer gelesen, New York sei ein herzloser Ort, doch während meines ersten vollen Tages in der Stadt empfand ich genau das Gegenteil.
    Am folgenden Tag besuchte ich Harlem, ein Stadtgebiet, das in meiner Vorstellung legendäre Dimensionen angenommen hatte, seit ich in den fünfziger Jahren junge Leute in Soweto beobachtet hatte, die den Moden der Dandies von Harlem nacheiferten. Harlem war nach den Worten meiner Frau das Soweto Amerikas. Im Yankee-Stadion sprach ich zu einer großen Menschenmenge und erklärte, eine unzerstörbare Nabelschnur verbinde schwarze Südafrikaner mit schwarzen Amerikanern, denn wir seien alle Kinder Afrikas. Zwischen beiden bestehe eine Verwandtschaft, erklärte ich, die von so großen Amerikanern wie W.E.B. Du Bois, Marcus Garvey und Martin Luther King Jr. beseelt worden sei. Als junger Mann hätte ich den

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