Der lange Weg zur Freiheit
»braunen Bomber« Joe Louis verehrt, der sich nicht nur seiner Gegner im Ring angenommen habe, sondern auch der Rassisten außerhalb des Boxrings. Im Gefängnis verfolgte ich den Kampf der schwarzen Amerikaner gegen den Rassismus, gegen Diskriminierung und ökonomische Ungleichheit. Für uns symbolisierte Harlem die Stärke des Widerstands und die Schönheit des schwarzen Stolzes. Daran erinnerte mich ein junger Mann, den ich am Vortag gesehen hatte und der ein T-Shirt trug mit der Aufschrift »Black by nature, proud by choice« (»Schwarz durch Geburt, Stolz durch Wahl«). Wir seien verbunden durch Natur, sagte ich, doch wir seien stolz aufeinander durch Wähl.
Nach Besuchen von Memphis und Boston reiste ich nach Washington, um vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses eine Rede zu halten und mich mit Präsident Bush zu einem Privatgespräch zu treffen. Ich dankte dem amerikanischen Kongreß für seine Antiapartheidgesetze und erklärte, das neue Südafrika hoffe, nach den Werten zu leben, welche die beiden Kammern, vor denen ich sprach, geschaffen hätten. Ferner sagte ich, daß wir als Freiheitskämpfer nichts hätten wissen können von Männern wie George Washington, Abraham Lincoln und Thomas Jefferson »und nicht wie sie zum Handeln motiviert worden sind«. Ich richtete an den Kongreß auch in starken Worten eine Botschaft zu den Sanktionen, da ich wußte, daß die Bush-Administration es für an der Zeit hielt, sie zu lockern. Ich riet dem Kongreß dringend, dies nicht zu tun.
Noch vor dem Treffen mit Mr. Bush hatte ich mir von ihm einen positiven Eindruck gebildet, denn er war der erste Staatsmann der Welt, der mir nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis am Telefon Glückwünsche übermittelte. Von diesem Zeitpunkt an setzte mich Präsident Bush auf seine kurze Liste von Staatsmännern, die er über wichtige Fragen informierte. Als Mensch war er sehr warmherzig und nachdenklich, obwohl wir zu Fragen des bewaffneten Kampfes und der Sanktion deutlich anderer Meinung waren. Er war ein Mann, mit dem man anderer Meinung sein und sich trotzdem die Hand reichen konnte.
Von den Vereinigten Staaten aus reiste ich nach Kanada, wo ich mit Premierminister Mulroney zusammentraf und ebenfalls an das Parlament ein Grußwort richtete. Als nächstes stand Irland auf meinem Programm. Doch vor der Atlantiküberquerung landete unser Flugzeug, ein kleiner Jet, zum Auftanken auf einem abgelegenen Gebiet über dem Polarkreis mit Namen Goose Bay. Mir war danach, einen Spaziergang in der frischen Luft zu machen, und als ich über die Rollbahn schlenderte, bemerkte ich einige Menschen, die am Flughafenzaun standen. Ich fragte einen kanadischen Beamten, wer sie seien. »Eskimos«, antwortete er.
In meinen 72 Jahren auf dieser Erde bin ich nie einem Innui begegnet und hatte mir auch nie vorgestellt, daß dies jemals geschehen würde. Ich ging zu dem Zaun hinüber und sah dort ein Dutzend junger Leute, an die zwanzig Jahre alt. Sie waren zum Flughafen gekommen, weil sie gehört hatten, unser Flugzeug würde dort zwischenlanden. Als Junge hatte ich von Innuis gelesen, und der Eindruck, den ich aus den rassistisch-kolonialistischen Texten gewonnen hatte, war der einer rückständigen Kultur.
Doch als ich mit diesen gescheiten jungen Leuten sprach, erfuhr ich, daß sie meine Freilassung im Fernsehen gesehen hatten und mit den Ereignissen in Südafrika vertraut waren. »Viva ANC!« rief einer von ihnen. Die Innuis waren ein eingeborenes Volk, das in der Vergangenheit von einer weißen Siedlerpopulation unterdrückt worden war; es gab also Parallelen zwischen der Lage der schwarzen Südafrikaner und der des Eskimo-Volkes. Ich war besonders überrascht darüber, wie klein der Planet während meiner Jahrzehnte im Gefängnis geworden war; für mich war es verwunderlich, daß ein Innui im Kindesalter, der auf der Dachspitze der Welt lebte, die Freilassung eines politischen Gefangenen an der Südspitze Afrikas miterleben konnte. Das Fernsehen hatte die Welt verkleinert, und es war dabei zu einer starken Waffe geworden, mit der sich Ignoranz beseitigen und die Demokratie befördern ließ.
Von Dublin aus flog ich nach London, wo ich mit Mrs. Thatcher zu einer dreistündigen Begegnung zusammentraf. Das Stehen in der Kälte, während ich mit den jungen Eskimos sprach, hatte mir eine Erkältung eingetragen. Am Tag, als ich mich mit Mrs. Thatcher treffen wollte, war es kalt und regnerisch, und Winnie riet mir, ich solle einen Regenmantel
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