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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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überziehen. Wir waren bereits in der Empfangshalle des Hotels, und wir wären zu spät gekommen, wenn ich zurückgegangen wäre, um meinen Mantel zu holen. In Sachen Pünktlichkeit bin ich kleinlich, nicht nur weil ich Pünktlichkeit als Zeichen des Respekts der Person gegenüber, die man trifft, erachte, sondern auch weil ich dem westlichen Stereotyp des notorisch trägen Afrikaners entgegentreten möchte. Ich sagte Winnie, wir hätten keine Zeit mehr, und so stand ich draußen im Regen und gab einigen Kindern Autogramme. Als ich bei Mrs. Thatcher ankam, ging es mir schlecht, und später wurde eine leichte Lungenentzündung diagnostiziert. Doch das störte unsere Begegnung nicht, außer daß sie mich wie eine Lehrerin schalt, weil ich ihren Rat nicht angenommen und meine Termine nicht zusammengestrichen hätte. Obwohl Mrs. Thatcher in vielen Fragen einen dem ANC entgegengesetzten Standpunkt einnahm, war sie doch stets eine Lady, die sich durch Offenheit und Besorgtheit auszeichnete. Doch in unserem Gespräch an jenem Tag konnte ich bei ihr nicht den kleinsten Fortschritt in der Frage der Sanktionen erzielen.
    Im Juli kehrte ich nach Südafrika zurück. Im Anschluß an eine kurze Reise nach Uganda, Kenia und Mosambik forderte ich ein Treffen mit Mr. de Klerk. Die Gewalttaten im Lande nahmen zu. Die Zahl der Toten betrug bereits über 1500, mehr als alle Toten politischer Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres. Nach Gesprächen mit meinen Kollegen hielt ich es für unumgänglich, den Prozeß der Normalisierung zu beschleunigen. Unser Land blutete sich zu Tode. Wir mußten schneller vorankommen.
    Nachdem Mr. de Klerk im Juni den Notstand aufgehoben hatte, schien damit ein Zeichen für die Wiederaufnahme von Gesprächen gegeben zu sein, doch im Juli nahmen die Sicherheitskräfte der Regierung an die 40 ANC-Mitglieder fest, darunter Mac Maharaj, Pravin Gordhan, Siphiwe Nyanda und Billy Nair, und behaupteten, sie hätten sich an einer »Operation Vula« genannten Verschwörung der Kommunistischen Partei zum Sturz der Regierung beteiligt. De Klerk forderte ein dringendes Gespräch mit mir und las mir aus Dokumenten vor, die nach seinen Worten bei der Razzia konfisziert worden waren. Ich war bestürzt, weil ich davon nichts wußte.
    Nach dem Treffen verlangte ich eine Erklärung und rief nach Joe Slovo. Joe erklärte, die Passagen, die Mr. de Klerk vorgelesen hatte, seien aus dem Kontext gerissen und »Vula« sei eine totgeborene Operation. Doch die Regierung wollte die Entdeckung zu dem Versuch nutzen, den ANC von der SACP loszubrechen und Joe Slovo von den Verhandlungen fernzuhalten. Ich sprach noch einmal mit Mr. de Klerk und sagte ihm, er sei von seiner eigenen Polizei in die Irre geführt worden und wir hätten nicht die Absicht, uns von der SACP zu trennen und Joe Slovo aus unserer Verhandlungsdelegation zu entfernen.
    Mitte Juli, kurz vor einem anberaumten Treffen des Nationalen Exekutivkomitees, kam Joe Slovo privat zu mir mit einem Vorschlag. Er regte an, wir sollten den bewaffneten Kampf freiwillig beenden, um so das richtige Klima zu schaffen, damit der Verhandlungsprozeß vorankäme. Mr. de Klerk müsse seinen Anhängern zeigen, daß seine Politik dem Lande Vorteile gebracht habe. Meine erste Reaktion war Ablehnung. Ich hielt die Zeit noch nicht für reif.
    Doch je mehr ich darüber nachdachte, um so deutlicher wurde mir bewußt, daß wir die Initiative ergreifen mußten und daß dies der beste Weg sei. Ich erkannte auch, daß Joe, dessen Glaubwürdigkeit als ein Radikaler außer Zweifel stand, genau der richtige Mann war, den Vorschlag zu unterbreiten. Ihm konnte man nicht vorwerfen, auf die Regierung hereingefallen oder zahm geworden zu sein. Am nächsten Tag sagte ich Joe, wenn er die Idee vor dem NEC zur Sprache bringe, würde ich ihn unterstützen.
    Als Joe am nächsten Tag den Vorschlag im NEC ansprach, sprachen sich einige entschieden dagegen aus und behaupteten, wir würden de Klerks Anhängern eine Belohnung zugute kommen lassen, aber nicht unseren Leuten. Doch ich verteidigte den Vorschlag und wies darauf hin, daß das Ziel des bewaffneten Kampfes immer gewesen sei, die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen, und nun sei es uns gelungen. Ich erklärte weiter, die Einstellung des Kampfes könne jederzeit widerrufen werden, doch es sei an der Zeit, unseren guten Willen zu zeigen. Nach mehreren Stunden obsiegte unsere Auffassung.
    Innerhalb des ANC war dies ein kontroverser Vorgang.

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