Der lange Weg zur Freiheit
ein Universitätsstudium absolviert hatte. Zu meiner großen Überraschung erfuhr ich anschließend von meinem Vetter, daß Walter Sisulu über die mittlere Reife nie hinausgelangt war. Dies war eine weitere Lektion von Fort Hare, die ich in Johannesburg vergessen mußte. In Fort Hare hatte man mich gelehrt, daß einen B. A. zu haben bedeutete, ein Führer zu sein, und um ein Führer zu sein, brauchte man einen B. A. In Johannesburg entdeckte ich jedoch, daß viele der hervorragendsten Führer nie auf einer Universität gewesen waren. Obwohl ich alle Englischkurse absolviert hatte, die für einen B. A. obligatorisch waren, war mein Englisch weder so flüssig noch so beredt wie das vieler Männer, die ich in Johannesburg kennenlernte und die noch nicht einmal einen Schulabschluß hatten.
Nach einem kurzen Aufenthalt bei meinem Vetter zog ich zu Reverend J. Mabutho von der Anglikanischen Kirche in der Eighth Avenue in der Alexandra Township. Er war gleichfalls ein Thembu, ein Freund meiner Familie und ein großmütiger, gottesfürchtiger Mann. Seine Frau, die wir Gogo nannten, war warmherzig und liebevoll, außerdem eine ausgezeichnete Köchin und als solche sehr freigebig. Wie jeder Thembu, der meine Familie kannte, fühlte Reverend Mabutho sich für mich verantwortlich. »Unsere Vorfahren haben uns gelehrt zu teilen«, sagte er einmal zu mir. Doch ich hatte nichts gelernt aus meinen Erfahrungen bei den Crown Mines, denn ich erzählte Reverend Mabutho nichts über die Umstände, unter denen ich die Transkei verlassen hatte. Dieses Versäumnis hatte unglückselige Konsequenzen. Wenige Tage, nachdem ich bei den Mabuthos eingezogen war, trank ich mit ihnen in ihrem Hause Tee, als ein Besucher eintraf. Leider war ihr Freund jener Mr. Festile, der in der Chamber of Mines zugegen war, als Justice und ich uns mit Mr. Wellbeloved trafen. Mr. Festile und ich begrüßten einander in einer Weise, die verriet, daß wir uns kannten, und obwohl kein Wort über unsere frühere Begegnung fiel, nahm mich Mabutho am nächsten Tag beiseite und erklärte unumwunden, ich könne nicht länger unter dem Dach der Familie weilen.
Ich verfluchte mich, Reverend Mabutho nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Ich hatte mich an meine Täuschungsmanöver so gewöhnt, daß ich selbst dann noch log, als es gar nicht nötig war. Ich bin überzeugt, daß Reverend Mabutho keine Einwände gehabt hätte, doch als er von Festile erfuhr, daß ich unter falschem Vorwand in Johannesburg war, fühlte er sich getäuscht. Während meines kurzen Aufenthaltes in Johannesburg hatte ich eine Fährte von Unwahrheiten hinterlassen, und in jedem einzelnen Fall hatte die Täuschung sich schließlich gegen mich gewandt. Zu jener Zeit hatte ich nach meinem Gefühl keine Alternative. Ich war unerfahren und verängstigt, und mir war klar, daß ich in meinem neuen Leben nicht den rechten Weg gefunden hatte. Reverend Mabutho hatte Mitleid mit mir und verschaffte mir bei seinen Nachbarn, der Xhoma-Familie, eine Unterkunft.
Mr. Xhoma war einer der ganz wenigen Grundbesitzer in Alexandra. Sein Haus war klein, zumal er sechs Kinder hatte, jedoch angenehm, mit einer Veranda und einem winzigen Garten. Um mit dem Geld auszukommen, nahm Mr. Xhoma wie so viele andere Bewohner von Alexandra Untermieter auf. Dazu ließ er im hinteren Teil seines Grundstücks einen Raum mit einem Blechdach errichten, nicht mehr als eine Hütte oder Bude mit einem Lehmfußboden, ohne Heizung, ohne elektrischen Strom, ohne fließend Wasser. Doch ich hatte mein eigenes Quartier und war glücklich darüber.
Inzwischen hatte sich, auf Walters Empfehlung, Lazar Sidelsky bereit erklärt, mich als Ausbildungsclerk einzustellen, während ich meinen B. A. anstrebte. Die Kanzlei Witkin, Sidelsky und Eidelman war eine der größten Anwaltskanzleien der Stadt, und sie vertrat sowohl Schwarze wie Weiße. Um sich in Südafrika als Rechtsanwalt zu qualifizieren, mußte man neben dem Studium der Rechtswissenschaften und nach Durchlaufen bestimmter Examina bei einem praktizierenden Rechtsanwalt mehrere Jahre in eine Art Lehre gehen, die als »serving articles« bezeichnet wurde. Doch um »Lehrling«, also Ausbildungsclerk, werden zu können, mußte ich zuvor meinen B. A. erwerben. Zu diesem Zweck studierte ich nachts für die UNISA, die University of South Africa, eine angesehene Bildungsinstitution, bei der akademische Grade in Fernlehrkursen erworben werden können.
Außer um die üblichen Rechtsfälle
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