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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Eidelman. Ein junger Bursche etwa in meinem Alter namens Nat Bregman hatte kurz vor mir in der Kanzlei angefangen. Nat war gescheit, sympathisch und nachdenklich. Er schien völlig farbenblind zu sein und wurde mein erster weißer Freund. Er besaß mimische Talente und konnte die Stimmen von Jan Smuts, Franklin Roosevelt und Winston Churchill hervorragend nachahmen. Oft bat ich ihn in juristischen Angelegenheiten sowie bei der Büroprozedur um Rat, und er war stets zu Auskünften bereit.
    Eines Tages zur Mittagszeit im Büro holte Nat ein Päckchen Sandwiches heraus. Er nahm ein Sandwich und sagte: »Nelson, halt die andere Seite des Sandwiches fest.« Ich war mir nicht sicher, worauf er hinauswollte, aber da ich Hunger hatte, folgte ich seiner Aufforderung. »Zieh jetzt«, sagte er. Ich tat es, und das Sandwich zerriß in zwei ungefähr gleichgroße Hälften. »Jetzt iß«, sagte er. Während ich kaute, sagte Nat: »Nelson, was wir gerade getan haben, symbolisiert die Philosophie der Kommunistischen Partei: alles miteinander zu teilen, was wir haben.« Er sagte, er sei Mitglied der Partei, und erklärte mir dann in groben Zügen ihre Grundsätze. Ich wußte, daß Gaur Parteimitglied war, doch hatte er nie Propaganda für sie gemacht. Ich hörte Nat zu, an jenem Tag und noch bei vielen anderen Gelegenheiten, wenn er die Werte des Kommunismus herausstrich und versuchte, mich zum Eintritt in die Partei zu bewegen. Ich hörte ihm zu, stellte Fragen, trat jedoch nicht bei. Ich war nicht geneigt, mich irgendeiner politischen Organisation anzuschließen. Der Rat von Mr. Sidelsky klang mir noch in den Ohren. Außerdem war ich ziemlich religiös, und die ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Religion mißfiel mir. Doch die Idee, ein Sandwich zu teilen, gefiel mir.
    Ich genoß Nats Gesellschaft, und wir waren oft zusammen. Wir besuchten eine Reihe von Vorlesungen sowie Zusammenkünfte der Kommunistischen Partei. Ich tat das hauptsächlich aus intellektueller Neugier. Mir wurde damals gerade die Geschichte der rassischen Unterdrückung in meinem eigenen Land bewußt, und für mich war der Kampf in Südafrika ein ausschließlich rassischer. Die Partei hingegen sah die Probleme Südafrikas durch die Optik des Klassenkampfes. Für die Kommunisten waren es die Besitzenden, welche die Habenichtse unterdrückten. Ich fand die Idee interessant, jedoch nicht sonderlich relevant für das heutige Südafrika. Sie mochte auf Deutschland oder England oder Rußland anwendbar sein, schien jedoch nicht geeignet für das Land, das ich kannte. Trotzdem hörte ich zu und lernte.
    Nat lud mich zu einer Reihe von Parties in der Stadt ein, auf denen eine Mischung aus Weißen, Afrikanern, Indern und den sogenannten Coloureds (»Mischlinge«) teilnahm. Die Parties waren von der Partei arrangiert worden, und die meisten Gäste waren Parteimitglieder. Ich erinnere mich, daß ich beim ersten Mal nervös war, hauptsächlich deshalb, weil ich meinte, nicht angemessen gekleidet zu sein. In Fort Hare hatte man uns gelehrt, bei gesellschaftlichen Anlässen jedweder Art Jackett und Krawatte zu tragen. Obwohl meine Garderobe arg begrenzt war, gelang es mir, für die Party eine Krawatte aufzutreiben.
    Ich traf auf eine lebhafte und gesellige Gruppe von Menschen, für die Hautfarbe überhaupt nicht zu zählen schien. Es war dies die erste gemischte Zusammenkunft dieser Art, der ich je beigewohnt hatte, und ich war weit eher Beobachter als Teilnehmer. Ich fühlte mich äußerst verlegen, unfähig, mich an den Gesprächen zu beteiligen, die gleichzeitig geschwollen und zwanglos zu sein schienen, und ich war ängstlich darauf bedacht, keinen Fauxpas zu begehen. Meine Gedanken erschienen mir im Vergleich zu den klugen Dialogen unterentwickelt.
    Irgendwann an jenem ersten Abend wurde ich mit Michael Harmel bekannt gemacht, der, wie man mir sagte, ein Master’s Degree (M. A.) in Englisch von der University of Rhodes hatte. Sein akademischer Grad beeindruckte mich, doch als ich ihm begegnete, dachte ich bei mir: »Dieser Bursche hat einen M. A. und trägt noch nicht einmal eine Krawatte!« Diese Diskrepanz war für mich unaufhebbar. Später wurden Michael und ich Freunde, und ich bewunderte ihn sehr, nicht zuletzt deshalb, weil er so viele der ziemlich törichten Konventionen verwarf, denen ich einmal angehangen hatte. Er war nicht nur ein brillanter Schriftsteller, sondern hatte sich der Idee des Kommunismus in einem solchen Maße verschrieben, daß er nicht

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