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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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beleidigen. So entschied ich mich für das, was mir die klügste Handlungsweise zu sein schien: Ich trank gar keinen Tee. Ich sagte einfach, ich sei nicht durstig. Ich war erst 23 Jahre alt, suchte noch meine Stellung als Mann, als Einwohner von Johannesburg und als Angestellter in einer weißen Kanzlei, und ich sah den mittleren Weg unausweichlich als den besten und vernünftigsten. Das würde nicht immer so sein. Später pflegte ich zur Teezeit die kleine Küche im Büro aufzusuchen und dort allein meinen Tee zu mir zu nehmen.
    Die Sekretärinnen waren nicht immer so rücksichtsvoll. Einige Zeit später, inzwischen war ich mit der Arbeit in der Kanzlei vertrauter, diktierte ich einer weißen Sekretärin irgendeinen Text, als ein weißer Klient, den sie kannte, das Büro betrat. Sie war verlegen, und um zu demonstrieren, daß sie von einem Afrikaner kein Diktat entgegennahm, klaubte sie Geld aus ihrem Portemonnaie und sagte spitz: »Bitte, Nelson, geh und hol mir Shampoo aus der Drogerie.« Ich ging aus dem Raum und holte ihr Shampoo.
    Meine Arbeit in der Kanzlei war, zumindest zu Anfang, ziemlich einfach. Ich war mehr oder minder eine Kombination aus einem Clerk und einem Boten. Ich hatte Dokumente aufzufinden, zu arrangieren und einzuordnen und Papiere in oder um Johannesburg abzuliefern. Später setzte ich für einige der afrikanischen Klienten der Kanzlei Verträge auf. Aber mochte die Aufgabe auch noch so geringfügig sein, Mr. Sidelsky erklärte mir, welchen Zweck sie hatte und warum er sie mir übertrug. Er war ein geduldiger und nachsichtiger Lehrer und suchte nicht nur Details der Gesetze, sondern auch die Philosophie dahinter zu vermitteln. Seine Sicht des Gesetzes war eher weit als eng; er glaubte, das Gesetz sei ein Werkzeug, das man zur Veränderung der Dinge einsetzen könne.
    Während mir Mr. Sidelsky seine Ansichten über die Gesetze mitteilte, warnte er mich gleichzeitig vor der Politik. Politik, pflegte er zu sagen, bringt beim Menschen das Schlimmste zum Vorschein. Sie sei die Quelle von Ärger und Korruption und solle unter allen Umständen gemieden werden. Er malte ein erschreckendes Bild dessen, was mir widerfahren würde, falls ich mich auf Politik einließe, und er riet mir, die Gesellschaft von Menschen zu meiden, die er als Aufrührer und Unruhestifter ansah, besonders Gaur Radebe und Walter Sisulu. Mr. Sidelsky schätzte ihre Fähigkeiten, verabscheute aber ihre politischen Ansichten.
    Gaur war in der Tat ein »Unruhestifter« im besten Sinne des Wortes, und er war in der afrikanischen Gemeinde ein einflußreicher Mann auf eine Weise, von der Mr. Sidelsky nichts wußte oder auch nur ahnte. Gaur war in der Western Native Township ein Mitglied des Advisory Board, einer Körperschaft aus vier auf lokaler Ebene gewählten Leuten, die über Angelegenheiten der Townships mit den Behörden verhandelten. Obwohl das Komitee über wenig Macht verfügte, besaß es im Volk doch großes Ansehen. Wie ich bald herausfand, war Gaur ein führendes Mitglied sowohl der Kommunistischen Partei als auch des Afrikanischen Nationalkongresses.
    Gaur war ein unabhängiger Mann. Er behandelte unsere Arbeitgeber nicht mit übertriebener Höflichkeit und richtete oft Spitzen gegen sie, kritisierte sie wegen ihrer Behandlung der Afrikaner. »Ihr Leute habt uns unser Land gestohlen«, pflegte er zu sagen, »und uns versklavt. Jetzt laßt ihr uns noch draufzahlen, wenn wir die schlechtesten Stücke davon zurückbekommen.« Eines Tages, als ich von einem Botengang zurückkehrte und Mr. Sidelskys Büro betrat, sagte Gaur gerade zu ihm: »Hören Sie, Sie sitzen da wie ein Lord, während mein Häuptling Botengänge für Sie erledigt. Die Situation sollte genau umgekehrt sein, und eines Tages wird sie das auch, und wir werden euch alle ins Meer werfen.« Dann ging Gaur hinaus, und Mr. Sidelsky schüttelte nur bekümmert den Kopf.
    Gaur war das Beispiel eines Mannes ohne B. A. der unendlich gebildeter zu sein schien als die Burschen, die Fort Hare mit glanzvollen akademischen Titeln verließen. Er war nicht nur gescheiter, er war auch selbstbewußter. Wenn ich auch nicht von meinem Ziel abließ, meinen B. A. zu machen und mit dem Jurastudium zu beginnen, so lernte ich doch von Gaur, daß ein akademischer Grad noch kein Beweis für Führungsfähigkeit war und daß er nichts bedeutete, sofern man nicht in die Öffentlichkeit hinausgeht, um sich zu bewähren.
    Ich war nicht der einzige Ausbildungsclerk bei Witkin, Sidelsky und

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