Der lange Weg zur Freiheit
Sache verwandt – Kerzen. Denn ohne sie konnte ich nicht studieren. Eine Petroleumlampe konnte ich mir nicht leisten; Kerzen erlaubten es mir, bis spät in die Nacht zu lesen.
Unvermeidlich fehlten mir jeden Monat mehr als nur ein paar Pence. An vielen Tagen ging ich morgens die sechs Meilen zur Stadt zu Fuß und abends wieder zurück, um das Fahrgeld zu sparen. Oft mußte ich mich mit einer winzigen Mahlzeit begnügen und konnte meine Kleider nicht wechseln. Einmal schenkte mir Mr. Sidelsky, der ungefähr so groß war wie ich, einen seiner alten Anzüge, und nachdem er gestopft und geflickt war, trug ich diesen Anzug tagtäglich fast fünf Jahre lang. Am Ende hatte er mehr Flicken als Anzugstoff.
An einem Nachmittag kehrte ich im Bus nach Alexandra zurück und nahm neben einem jungen Mann meines Alters Platz. Er war einer jener jungen Leute, die sich nach Art wohlgekleideter Gangster in amerikanischen Filmen anzogen. Ich bemerkte, daß meine Jacke den Saum seines Jacketts gerade noch berührte. Auch er bemerkte es und rückte vorsichtig von mir fort, damit meine Jacke die seine nicht beschmutzen konnte. Es war eine winzige Geste, komisch im Rückblick, aber damals schmerzlich.
Über Armut läßt sich wenig Positives sagen, doch sie ist oft ein Nährboden für wahre Freundschaft. Wenn man reich ist, gibt es viele, die sich mit einem anfreunden wollen; wenn man arm ist, nur wenige. Wenn Reichtum magnetisch anzieht, so stößt Armut ab. Doch läßt Armut in anderen oft echte Großzügigkeit hervortreten. Eines Tages beschloß ich, zu Fuß in die Stadt zu gehen, um Geld zu sparen. In einiger Entfernung erspähte ich eine junge Dame, die mit mir in Fort Hare gewesen war. Sie hieß Phyllis Maseko. Sie kam mir auf derselben Straßenseite entgegen, doch mir war meine abgetragene Kleidung peinlich, und so ging ich auf die andere Straßenseite, in der Hoffnung, daß sie mich nicht erkennen würde. Doch ich hörte, wie sie rief: »Nelson… Nelson!« Ich blieb stehen und tat so, als hätte ich sie soeben erst bemerkt. Sie zeigte sich über unser Wiedersehen sehr erfreut, aber natürlich bemerkte ich, daß ihr nicht entging, wie schäbig ich aussah. »Nelson«, sagte sie, »hier ist meine Adresse. Komm mich besuchen.« Ich beschloß, mich nicht noch einmal zu erniedrigen, doch eines Tages brauchte ich dringend eine ordentliche Mahlzeit und überwand mich. Sie beköstigte mich, ohne auf meine Armut anzuspielen, und von da an besuchte ich sie öfter.
Mr. Xhoma, mein Hauswirt, war nicht reich, jedoch eine Art Menschenfreund. Solange ich bei ihm wohnte, luden seine Frau und er mich jeden Sonntagmittag zum Essen bei sich ein, und die dampfenden Teller mit Schweinefleisch und Gemüse waren oft meine einzige warme Mahlzeit in der ganzen Woche. Was auch immer geschah, am Sonntag war ich stets und unter allen Umständen bei den Xhomas zur Stelle. Für den Rest der Woche ernährte ich mich von Brot, und manchmal brachten mir die Sekretärinnen der Kanzlei etwas zu essen.
Ich war in jenen Tagen sehr rückständig, und die Verbindung von Armut und Provinzialismus sorgte für amüsante Zwischenfälle. Eines Tages, ich wohnte noch nicht lange bei den Xhomas, war ich auf dem Heimweg von Johannesburg und spürte plötzlich einen Riesenhunger. Ich hatte noch ein wenig gespartes Geld und beschloß, mir den Luxus frischen Fleisches zu leisten, was ich schon lange nicht mehr getan hatte. Da ich nirgends eine richtige Metzgerei sah, betrat ich ein Delikatessengeschäft, eine Art von Laden, den ich vor Johannesburg niemals gesehen hatte. Durch die Glasscheibe sah ich ein großes Stück Fleisch, das besonders appetitanregend wirkte, und ich bat den Mann hinter dem Ladentisch, ein Stück für mich abzuschneiden. Er wickelte es ein, und ich klemmte es unter den Arm und setzte meinen Heimweg fort, von meinem bevorstehenden herrlichen Abendessen träumend.
Als ich in meinem Zimmer in Alexandra war, rief ich eine der jungen Töchter aus dem Haupthaus herüber. Sie war erst sieben, jedoch ein sehr helles Mädchen. Ich sagte ihr: »Würdest du bitte dieses Stück Fleisch zu einer deiner älteren Schwestern bringen und sie bitten, es für mich zu kochen?« Ich konnte sehen, wie das Mädchen versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, doch es hatte zuviel Respekt vor Älteren, um zu lachen. Leicht irritiert fragte ich sie, ob irgend etwas nicht stimme. Sehr leise sagte sie: »Dieses Fleisch ist gekocht.« Ich fragte sie, wovon sie rede. Sie erklärte,
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