Der lange Weg zur Freiheit
gegenüber meinen alten Verbindungen gleichgültig geworden, eine Haltung, die ich zum Teil angenommen hatte, um meine Flucht zu rechtfertigen und irgendwie den Schmerz zu lindern über die Trennung von der geliebten und geachteten Welt. Es war ein gutes Gefühl, wieder der warmherzigen Umarmung des Regenten sicher sein zu können.
Während der Regent mit mir zufrieden zu sein schien, war er über Justice verärgert. Justice, sagte er, müsse nach Mqhekezweni zurückkehren. Er hatte ein Verhältnis mit einer jungen Frau, und ich wußte, daß er nicht die Absicht hatte, nach Haus zurückzukehren. Nach der Abreise des Regenten leitete Bangindawo, einer seiner Berater, gegen Justice ein Verfahren ein, und ich stimmte zu, Justice zu helfen, als er vor den Native Commissioner zitiert wurde, der für Afrikaner in dem Gerichtsbezirk des Regenten zuständig war. Bei der Anhörung argumentierte ich, Justice sei erwachsen und nicht verpflichtet, nach Mqhekezweni zurückzukehren, nur weil sein Vater es befohlen habe. Doch Bangindawo ging nicht auf meine Argumentation ein, sondern appellierte an meine eigene Loyalität. Er sprach mich mit »Madiba« an, mit meinem Clan-Namen, ein wohlberechneter Zug, mich an mein Thembu-Erbe zu erinnern. »Madiba«, sagte er, »der Regent hat für dich gesorgt, hat dich erzogen und wie seinen eigenen Sohn behandelt. Nun willst du seinen wirklichen Sohn von ihm fernhalten, indem er hier in Johannesburg bleibt. Das widerspricht den Wünschen des Mannes, der dein treuer Vormund gewesen ist, und widerspricht jenem Weg, der Justice vorgezeichnet ist.«
Bangindawos Rede traf mich schwer. Justices Bestimmung unterschied sich von meiner eigenen. Er war der Sohn eines Häuptlings und selbst zukünftiger Häuptling. Nach dem Hearing erklärte ich Justice, ich hätte meine Auffassung geändert, er solle nach Haus zurückkehren. Justice war über meine Reaktion verwirrt und lehnte es ab, mir zuzuhören. Er beschloß zu bleiben und muß seine Freundin über meinen Rat ins Bild gesetzt haben, denn sie sprach danach nie wieder mit mir.
Um Geld zu sparen und näher am Zentrum von Johannesburg zu wohnen, zog ich Anfang 1942 aus meinem Zimmer auf dem Hinterhof der Xhomas in den WNLA-Gebäudekomplex. Diesen Umzug verdankte ich Mr. Festile, dem »Induna« bei der Chamber of Mining, der erneut eine schicksalhafte Rolle in meinem Leben spielte. Aus eigenen Stücken hatte er beschlossen, mir auf dem Minenkomplex freie Unterkunft anzubieten.
Der WNLA-Komplex war eine multi-ethnische, polyglotte Gemeinde des modernen, urbanen Südafrika. Es gab dort Sothos, Tswanas, Vendas, Zulus, Pedis, Shangaans, Namibier, Mosambiker, Swazis und Xhosas. Einige sprachen Englisch, und die Lingua franca war ein Amalgam aus vielen Sprachen, Fanagalo genannt. Dort erlebte ich nicht nur das Auflodern ethnischer Feindseligkeiten zwischen Gruppen, sondern auch das gute Einvernehmen, das zwischen Männern verschiedener Herkunft möglich war. Doch dort war ich ein Fisch außerhalb des Wassers. Statt meine Tage unter Tage zu verbringen, verbrachte ich sie beim Studium oder in einer Anwaltskanzlei, wo die einzige körperliche Aktivität darin bestand, Akten abzulegen oder Botengänge zu erledigen.
Da die WNLA für reisende Häuptlinge eine Zwischenstation war, hatte ich das Privileg, Stammesführer aus ganz Südafrika kennenzulernen. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit der Königin von Basutoland, das heute Lesotho heißt. Sie hieß Mantsebo Moshweshe und war in Begleitung zweier Häuptlinge, die beide Sabatas Vater Jongilizwe kannten. Ich befragte sie nach ihm, und für eine Stunde schien ich zurückversetzt ins Thembuland, als sie mir farbige Geschichten über seine frühen Jahre erzählten.
Die Königin nahm besondere Notiz von mir und sprach mich an einem Punkt unmittelbar an; sie sprach Sesotho, eine Sprache, von der ich nur wenige Wörter kannte. Sesotho ist die Sprache des Sotho-Volkes wie auch der Tswana, die in großer Zahl in Transvaal und im Oranje-Freistaat leben. Sie musterte mich ungläubig und sagte dann auf englisch: »Was für ein Rechtsanwalt und Führer wirst du sein, der du nicht einmal die Sprache deiner eigenen Leute sprechen kannst?« Ich fand keine Antwort. Die Frage verwirrte und ernüchterte mich; sie machte mir meine Beschränktheit bewußt, auch die Tatsache, wie unvorbereitet ich für die Aufgabe war, meinen Leuten zu dienen. Ich hatte mich unbewußt der ethnischen Trennung unterworfen, welche die
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