Der lange Weg zur Freiheit
einer Reihe von nicht-rassischen Antiregierungskampagnen im ganzen Land, die Afrikaner und Inder im Freiheitskampf zusammenführen sollten. Die erste dieser Kampagnen war die First Transvaal and Orange Free State Peoples Assembly for Votes for All, eine Kampagne, die zum Ziel hatte, das Wahlrecht auf alle Schwarzen Südafrikas auszudehnen. Dr. Xuma verkündete auf einer von mir geleiteten Pressekonferenz die Teilnahme des ANC; zu jenem Zeitpunkt glaubten wir, die Kampagne werde vom ANC angeführt, doch dann stellte sich heraus, daß das nicht der Fall war, und so beschloß die Exekutive von Transvaal, daß sich der ANC zurückziehen sollte. Meine Auffassung zu jener Zeit war, der ANC solle sich nur an Kampagnen beteiligen, die er selbst leitete. Mir ging es mehr darum, wem sie gutgeschrieben wurde, als darum, ob die Kampagne ein Erfolg war.
Doch noch nach dem Rückzug gab Ramohanoe, Präsident des Transvaal-Bezirks des ANC, eine Presseerklärung heraus, in der er die Afrikaner der Provinz dazu aufrief, sich an der Kampagne für das allgemeine Wahlrecht zu beteiligen. Diese stand in klarem Widerspruch zur Entscheidung des Nationalen Exekutivkomitees, das diesen Akt des Ungehorsams nicht hinnehmen konnte. Auf einer eigens einberufenen Konferenz zur Lösung dieses Konflikts wurde ich aufgefordert, einen Mißtrauensantrag gegen Ramohanoe wegen seines Ungehorsams zu stellen. Ich stand unter einem akuten Konflikt zwischen Pflicht und persönlicher Loyalität, zwischen meinen Verpflichtungen der Organisation und meinem Freund gegenüber. Ich wußte sehr wohl, daß ich die Aktion eines Mannes verurteilen würde, dessen Integrität und kämpferisches Engagement außer Frage standen, eines Mannes, dessen Opfer im Freiheitskampf weitaus größer waren als meine eigenen. Ich wußte, daß die Aktion, zu der er aufgerufen hatte, in der Tat nobel war; er glaubte, daß Afrikaner ihren indischen Brüdern helfen sollten.
Doch Ramohanoes Ungehorsam war zu schwerwiegend. Wenngleich eine Organisation wie der ANC sich aus Individuen zusammensetzt, ist sie doch größer als irgendeiner ihrer individuellen Teile, und Loyalität der Organisation gegenüber hat Vorrang vor der Loyalität gegenüber einem Individuum. Ich willigte ein, das Vorgehen gegen Ramohanoe zu leiten und den Mißtrauensantrag zu stellen, der von Oliver Tambo unterstützt wurde. Dies rief im Haus große Aufregung hervor, und es kam zu Wortgefechten zwischen jenen aus dem Bezirk, die ihren Präsidenten unterstützten, und jenen, die auf der Seite der Exekutive standen. Die Versammlung endete in Unordnung.
Afrikaner konnten nicht wählen, aber das bedeutete nicht, daß es uns gleichgültig gewesen wäre, wer die Wahl gewann. Bei der weißen allgemeinen Wahl von 1948 standen sich die herrschende United Party unter Führung von General Smuts, der sich damals auf dem Höhepunkt seines internationalen Ansehens befand, und die wiedererstarkte National Party gegenüber. Während Smuts Südafrika zum Verbündeten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gemacht hatte, lehnte die National Party die Unterstützung Großbritanniens ab und bekundete offen ihre Sympathie für Nazi-Deutschland. Der Wahlkampf der National Party konzentrierte sich auf die »Swart Gevaar« (»schwarze Gefahr«), und sie bestritten ihn mit den beiden Slogans »Die Kaffer ob sy plek« (»Der Nigger an seinen Platz«) und »Die Koelies uit die land« (»Die Kulis raus aus dem Land«). »Kulis« war das Schmähwort der Afrikander für Inder.
Die Nationalisten, geführt von Dr. Daniel Malan, einem ehemaligen Geistlichen der Dutch Reformed Church und Zeitungsredakteur, waren eine von Bitterkeit erfüllte Partei – Bitterkeit gegenüber den Engländern, die sie jahrzehntelang als minderwertig behandelt hatten, und Bitterkeit gegenüber den Afrikanern, die nach Ansicht der Nationalisten den Wohlstand und die Reinheit der Afrikander-Kultur bedrohten. Wir Afrikaner kannten keine Loyalität gegenüber General Smuts, noch weniger freilich gegenüber der National Party.
Malans Programm war bekannt als Apartheid. Apartheid war ein neuer Name, jedoch eine alte Idee. Es bedeutet soviel wie »Trennung« und war die Kodifizierung aller Gesetze und Vorschriften, die über Jahrhunderte hinweg die Schwarzen gegenüber den Weißen in einer untergeordneten Position gehalten hatten. Ein Unterdrückungssystem, das mehr oder minder ein De-facto-Zustand gewesen war, sollte zu einem De-jure-Zustand gemacht werden. Die oft
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