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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ausgesetzt waren.
    Oliver verfügte über eine erstaunliche Arbeitskraft. Er verwandte auf jeden Klienten eine Menge Zeit, nicht so sehr aus professionellen Gründen, sondern weil er ein Mensch von fast grenzenloser Anteilnahme und Geduld war. Er ließ sich in die Fälle seiner Klienten und in ihr Leben hineinziehen und von der Not der Massen und dem Elend jedes einzelnen Individuums anrühren.
    Mir ging schnell auf, was Mandela und Tambo für gewöhnliche Afrikaner bedeuteten. Es war ein Ort, wo sie hingehen, ein mitfühlendes Gegenüber und einen kompetenten Verbündeten finden konnten, ein Ort, wo sie nicht zurückgewiesen oder betrogen wurden, ein Ort, wo sie tatsächlich Stolz empfinden mochten, weil sie von Männern ihrer eigenen Hautfarbe vertreten wurden. Dies war in erster Linie der Grund dafür, daß ich Rechtsanwalt geworden war, und meine Arbeit gab mir oft das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
    Oft hatten wir es vormittags mit einem halben Dutzend Fälle zu tun und waren den ganzen Tag über immer wieder im Gerichtsgebäude. In manchen Gerichten wurden wir mit Höflichkeit behandelt; in anderen mit Verachtung. Doch selbst während wir praktizierten, kämpften und Fälle gewannen, war uns bewußt, daß wir, so gut wir uns auch immer als Rechtsanwälte bewähren mochten, niemals Staatsanwalt, Magistrate oder Richter werden konnten. Auch wenn wir es mit Leuten zu tun hatten, deren Kompetenz nicht größer war als unsere, so wurde deren Autorität begründet und beschützt durch ihre Hautfarbe.
    Häufig begegneten wir Vorurteilen im Gericht selbst. Weiße Zeugen weigerten sich häufig, die Fragen eines schwarzen Anwalts zu beantworten. Statt sie wegen Mißachtung des Gerichts zu belangen, stellte der Magistrate ihnen die Fragen, die sie mir nicht hatten beantworten wollen. Routinemäßig rief ich Polizisten in den Zeugenstand und befragte sie; aber selbst wenn ich sie bei Widersprüchen und Lügen ertappte, war ich für sie nie etwas anderes als ein »Kaffernanwalt«.
    Ich erinnere mich, daß ich einmal zu Prozeßbeginn aufgefordert wurde, mich zu identifizieren. Dies war üblich. Ich sagte: »Ich bin Nelson Mandela, und ich erscheine für den Angeklagten.« Der Magistrate sagte: »Ich kenne Sie nicht. Wo ist Ihr Zertifikat?« Ein Zertifikat ist jenes hübsche Stück Papier, das man einrahmt und sich an die Wand hängt; es ist nichts, was ein Anwalt ständig bei sich trägt. Es ist so, als würde man jemanden nach seinem Universitätsabschluß fragen. Ich ersuchte den Magistrate, mit dem Fall zu beginnen; ich würde das Zertifikat noch rechtzeitig vorlegen. Aber der Magistrate weigerte sich, mit dem Prozeß zu beginnen, und ging sogar so weit, den Gerichtsdiener aufzufordern, mich aus dem Saal zu weisen.
    Dies war eine eindeutige Verletzung der Gerichtspraxis. Die Sache ging schließlich vor das Oberste Gericht, und dort vertrat mich mein Freund George Bizos, ein Anwalt. Während der Anhörung kritisierte der Vorsitzende Richter das Verhalten des Magistrates und ordnete an, ein anderer Magistrate solle den Fall übernehmen.
    Rechtsanwalt zu sein hieß auch nicht automatisch, außerhalb des Gerichts respektiert zu werden. Eines Tages sah ich in der Nähe unseres Büros eine ältere weiße Frau, deren Auto zwischen zwei anderen Wagen eingeklemmt war. Ich trat sofort hinzu und schob den Wagen an, worauf er freikam. Die englischsprechende Frau wandte sich mir zu und sagte: »Dankeschön, John« – John ist der Name, mit dem Weiße jeden Afrikaner ansprechen, dessen Namen sie nicht kennen. Sie wollte mir dann ein Sixpence-Stück geben, doch ich lehnte höflich ab. Sie streckte es mir erneut entgegen, und wieder sagte ich nein. Da rief sie aus: »Sie lehnen ein Sixpence ab. Dann wollen Sie sicher einen Shilling. Doch den bekommen Sie nicht.« Dann warf sie mir das Geldstück zu und fuhr davon.
    Im Laufe unseres ersten gemeinsamen Jahres entdeckten Oliver und ich, daß wir nach dem Urban Areas Act im Geschäftsviertel der Stadt ohne ministerielle Genehmigung gar kein Büro haben durften. Unser Antrag auf Genehmigung wurde abgelehnt, und wir erhielten statt dessen eine vorläufige Erlaubnis unter dem Group Areas Act, die jedoch bald auslief. Die Behörden weigerten sich, sie zu erneuern, und beharrten darauf, daß wir unser Büro in ein afrikanisches Gebiet verlegen sollten, viele Meilen entfernt und für unsere Klienten praktisch unerreichbar. Wir sahen darin einen Versuch der Behörden, uns

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