Der lange Weg zur Freiheit
des Medizinmanns.
Als Anwalt konnte ich mich mitunter ziemlich auffällig verhalten. Ich tat nicht so, als sei ich ein schwarzer Mann in eines weißen Mannes Gericht, sondern als seien alle anderen – Weiße und Schwarze – Gäste in meinem Gericht. Penibel befolgte ich sämtliche Gerichtsgepflogenheiten, benutzte jedoch gegenüber Zeugen zuweilen unorthodoxe Taktiken. Ich liebte Kreuzverhöre und setzte häufig auf rassische Spannungen. Gewöhnlich war die Zuschauertribüne überfüllt, da die Bewohner der Township Gerichtsverhandlungen als eine Form von Unterhaltung ansahen.
Ich erinnere mich daran, daß ich einmal eine Afrikanerin verteidigte, die in der Stadt als Hausangestellte arbeitete. Sie war angeklagt, ihrer »Madam« Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Die angeblich gestohlene Kleidung lag im Gerichtssaal auf einem Tisch ausgebreitet. Nachdem »Madam« ausgesagt hatte, begann ich mit meinem Kreuzverhör, wobei ich langsam zu dem Tisch mit den Beweisstücken ging. Ich schaute die Stücke prüfend an und hob dann mit der Spitze meines Bleistifts ein Teil der Damenunterwäsche empor. Dann schlenderte ich zum Zeugenstand und fragte, während ich den Schlüpfer an meinem Bleistift herumschwenkte, schlicht: »Madam, ist dies… Ihrer?«
»Nein«, erwiderte sie hastig, weil es ihr zu peinlich war zuzugeben, daß ihr das Höschen sehr wohl gehörte. Der Richter wies wegen dieser Antwort und wegen anderer Ungereimtheiten die Klage ab.
Ungefähr vier Meilen westlich von Johannesburg liegt auf einer felsigen Erhebung mit Blick auf die Stadt die afrikanische Township Sophiatown. Father Trevor Huddleston, einer der größten Freunde der Township, verglich Sophiatown einmal mit einer italienischen Hügelstadt, und aus der Ferne besaß der Ort in der Tat einen beträchtlichen Reiz. Die dichtgedrängten Häuser mit den roten Dächern; der in den rosa Himmel emporkräuselnde Rauch; die hohen und schlanken Bäume, welche die Township zu umarmen scheinen. Doch aus der Nähe sah man die Armut und das Elend, in dem viele der Einwohner von Sophiatown lebten. Die Straßen waren schmal und ungepflastert, und überall drängten sich Dutzende von Bruchbuden auf allerengstem Raum.
Sophiatown gehörte zu jenem Bereich, den man die Western Areas Townships nannte, zu denen auch Martindale und Newclare zählten. Das Gebiet war ursprünglich für Weiße vorgesehen, und ein Bauunternehmer hatte dort auch tatsächlich eine Anzahl von Häusern für Weiße gebaut. Weil sich in der Nähe jedoch der städtische Müllabladeplatz befand, zogen es die Weißen vor, anderswo zu wohnen, und der Bauunternehmer verkaufte seine Häuser widerstrebend an Afrikaner. Sophiatown war einer der wenigen Orte in Transvaal gewesen, wo Afrikaner Grundstücke hatten erwerben können, bevor der Urban Areas Act von 1923 dies unterband. Viele dieser alten Ziegel- und Steinhäuser mit ihren blechüberdachten Veranden standen noch in Sophiatown und verliehen der Township einen Anstrich von Anmut der Alten Welt. Als in Johannesburg sowohl vor als auch während des Krieges die Industrie expandierte, wurde Sophiatown zur Wohnstätte für die rasch zunehmenden afrikanischen Arbeitskräfte. Es lag bequem nahe der Stadt. Die Arbeiter wohnten in sogenannten Shanties, die in den Vor- und Hinterhöfen älterer Wohngrundstücke errichtet wurden. Oft mußten sich bis zu 40 Menschen einen einzigen Wasserhahn teilen, und in einer einzigen Shanty drängten sich in der Regel mehrere Familien. Trotz der Armut hatte Sophiatown einen speziellen Charakter; für Afrikaner war es das linke Seine-Ufer von Paris, Greenwich Village in New York, der Ort, wo Schriftsteller, Künstler, Ärzte und Rechtsanwälte wohnten. Es war sowohl bohèmehaft als auch konventionell, war gleichzeitig lebendig und ruhig. Dort lebten sowohl Dr. Xuma, der dort seine Praxis hatte, als auch »Tsotsi« (Gangster) wie die »Berliner« und die »Amerikaner«, die sich die Namen amerikanischer Filmstars wie John Wayne und Humphrey Bogart zulegten. Sophiatown rühmte sich des einzigen Swimmingpools für afrikanische Kinder in Johannesburg.
Für Johannesburg bedeutete die Regelung des Western Areas Removal die Evakuierung von Sophiatown, Martindale und Newclare mit einer Gesamtbevölkerung von 60000 bis 100000 Menschen. 1953 hatte die nationalistische Regierung ein Gelände namens Meadowlands 20 Kilometer von der Stadt entfernt gekauft. Dort sollten die Menschen in sieben verschiedenen
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