Der lange Weg zur Freiheit
aus dem Verkehr zu ziehen, und so benutzten wir die Büroräume illegal unter der ständigen Drohung, von dort vertrieben zu werden.
In Südafrika als Rechtsanwalt zu arbeiten bedeutete, im Rahmen eines verfälschten Rechtssystems mit einem Gesetzeskodex zu tun zu haben, der nicht Gleichheit beinhaltete, sondern genau das Gegenteil. Eines der ärgsten Beispiele in dieser Hinsicht war der Population Registration Act, der diese Ungleichheit definierte. Einmal hatte ich mit dem Fall eines Farbigen zu tun, der versehentlich als Afrikaner klassifiziert worden war. Mein Klient hatte während des Zweiten Weltkriegs für Südafrika in Nordafrika und in Italien gekämpft, doch nach seiner Rückkehr hatte ihn ein weißer Bürokrat als Afrikaner klassifiziert. Dies war ein in Südafrika alles andere als untypischer Fall, und er stellte ein moralisches Verwirrspiel dar. Zwar erkannte ich die Grundsätze des Population Registration Act nicht an, andererseits brauchte mein Klient rechtliche Vertretung, denn er war als jemand klassifiziert worden, der er nicht war. Es hat viele praktische Vorteile, als Farbiger klassifiziert zu werden und nicht als Afrikaner, wie etwa die Tatsache, daß Farbige keinen Paß bei sich haben mußten.
Ich wandte mich für meinen Klienten an den Classification Board, der über Fälle entschied, die unter den Population Registration Act fielen. Der Board bestand aus einem Magistrate und zwei weiteren Beamten, sämtlich weiß. Ich verfügte über ein gewaltiges dokumentarisches Beweismaterial, um den Fall meines Klienten hinreichend zu belegen, und der Staatsanwalt ließ formal erkennen, daß er gegen unseren Antrag nichts einzuwenden habe. Doch der Magistrate schien weder an den Beweisen noch an den Bedenken des Staatsanwalts interessiert. Er starrte meinen Klienten an und forderte ihn dann mürrisch auf, sich mit dem Rücken zur Richterbank zu drehen. Dann betrachtete er dessen stark abfallende Schultern und nickte den anderen Beamten zu; der Antrag war gebilligt. In den Augen weißer Behörden jener Tage zählten abfallende Schultern zu den Stereotypen des Körperbaus von Farbigen. Und so wurde für das Leben dieses Mannes eine wichtige Entscheidung getroffen, nur weil ein Magistrate über die Struktur seiner Schultern eine bestimmte Ansicht hatte.
Wir vertraten viele Fälle, bei denen polizeiliche Brutalität im Spiel war, wenngleich unsere Erfolgsquote ziemlich gering war. Polizeiliche Übergriffe waren schwer zu beweisen. Die Polizisten waren clever genug, einen Gefangenen so lange festzuhalten, bis seine Wunden und Hautabschürfungen verheilt waren, und häufig stand das Wort eines Polizisten gegen das unseres Mandanten. Die Magistratsbeamten standen natürlich auf seiten der Polizei. Im Bericht des Leichenbeschauers über einen Todesfall in Polizeigewahrsam stand häufig zu lesen: »Mehrfache Todesursachen«, oder irgendeine vage Erklärung, welche die Polizei entlastete.
Wann immer ich einen Fall außerhalb von Johannesburg hatte, beantragte ich eine zeitweilige Aufhebung meines Banns, und sie wurde häufig genehmigt. So reiste ich zum Beispiel in das östliche Transvaal und verteidigte in der Kleinstadt Carolina einen Klienten. Meine Ankunft in der Stadt war eine richtige Sensation, denn viele der Leute hatten nie zuvor einen afrikanischen Rechtsanwalt gesehen. Ich wurde vor dem Termin von dem Magistrate und dem Staatsanwalt herzlich aufgenommen, und es dauerte eine ganze Weile, ehe der Fall verhandelt werden konnte, weil man mir viele Fragen stellte über meine Karriere und wie ich Rechtsanwalt geworden sei. Der Gerichtssaal war gleichfalls überfüllt mit neugierigen Einwohnern.
In einem nahegelegenen Dorf vertrat ich einen lokalen Medizinmann, welcher der Zauberei angeklagt war. Der Fall zog viele Neugierige aus umliegenden Dörfern an, jedoch nicht, weil sie mich sehen wollten, sondern um festzustellen, ob sich die Gesetze des weißen Mannes auf einen »Sangoma« anwenden ließen. Der Medizinmann übte in dem Gebiet eine ungeheure Macht aus, und viele Leute verehrten und fürchteten ihn gleichzeitig. Im Laufe des Prozesses nieste mein Klient einmal heftig. Dies rief im Gerichtssaal eine wilde Massenflucht hervor, da die meisten Zuschauer glaubten, mein Klient äußere einen Zauberspruch. Am Ende wurde er für nicht schuldig befunden, aber ich vermute, daß die meisten Einheimischen dies nicht auf meine Fähigkeiten als Anwalt zurückführten, sondern auf die Macht der Kräuter
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