Der lange Weg zur Freiheit
afrikanische Führer und Gewerkschafter. Mr. Basner war ein hervorragender Chef, und solange ich in seiner Kanzlei arbeitete, ermutigte er mich zur politischen Arbeit. Nach den Erfahrungen, die ich dort sammelte, hatte ich das sichere Gefühl, mich auf eigene Füße stellen zu können.
Im August 1952 eröffnete ich mein eigenes Anwaltsbüro. Meine frühen Erfolge verdanke ich Zubeida Patel, meiner Sekretärin. Ich hatte sie bei H. M. Basner kennengelernt, wo sie eine Sekretärin burischer Herkunft, Miss Koch, ablöste, die sich geweigert hatte, Diktate von mir aufzunehmen. Zubeida war die Frau meines Freundes Cassim Patel, eines Mitglieds des Indischen Kongresses, und sie hatte nicht den leisesten Sinn für Farbbarrieren welcher Art auch immer. Sie besaß einen großen Freundeskreis, kannte viele Leute aus der juristischen Szene, und als ich mich selbständig machte, erklärte sie sich bereit, für mich zu arbeiten. Sie brachte gleich einen großen Teil von Aufträgen mit. Oliver Tambo arbeitete damals für eine Kanzlei namens Kovalsky und Tuch. Ich besuchte ihn dort oft während seiner Mittagspause und setzte mich absichtlich auf einen »Nur-für-Weiße «-Stuhl in einem »Nur-für-Weiße«-Wartezimmer. Oliver und ich waren sehr gute Freunde, und während der Mittagspausen sprachen wir hauptsächlich über ANC-Angelegenheiten. Er hatte mich erstmals in Fort Hare beeindruckt, wo ich seine gedankenreiche Intelligenz und sein scharfes Debattiertalent erkannte. Auf seine kühle, logische Art konnte er die Argumente des Gegners demolieren – genau jene Art von Intelligenz, die in einem Gerichtssaal von Nutzen ist. Vor Fort Hare war er ein brillanter Student in St. Peter’s in Johannesburg gewesen. Seine ausgeglichene Objektivität war ein Gegengewicht zu meinen eher emotionalen Reaktionen auf Fragestellungen. Oliver war tief religiös und hatte lange erwogen, Geistlicher zu werden. Er war auch ein Nachbar: Er stammte aus Bizana in Pondoland, einem Teil der Transkei, und sein Gesicht trug die deutlichen Narben seines Stammes. Es schien nur natürlich, daß wir versuchen würden, gemeinsam zu praktizieren, und ich bat ihn, mein Teilhaber zu werden. Einige Monate später, als Oliver sich von seiner Firma trennen konnte, eröffneten wir unser eigenes Büro im Zentrum von Johannesburg.
»Mandela und Tambo« stand auf dem Messingschild an unserer Bürotür in Chancellor House, einem kleinen Gebäude genau gegenüber den Marmorstatuen des Gerichts auf der anderen Straßenseite, in der Innenstadt von Johannesburg. Das Gebäude, das Indern gehörte, war eines der wenigen in der Stadt, in dem Afrikaner Büros mieten konnten. Von Anfang an wurden Mandela und Tambo von Klienten geradezu belagert. Wir waren zwar nicht die einzigen afrikanischen Rechtsanwälte in Südafrika, jedoch das einzige afrikanische Anwaltsbüro. Für Afrikaner waren wir die Kanzlei der ersten Wahl und ihre letzte Zuflucht. Um morgens zu unserem Büro zu gelangen, mußten wir uns durch Menschenmengen zwängen, die in Gängen, auf Treppenstufen und in unserem kleinen Wartezimmer ausharrten.
Afrikaner suchten verzweifelt juristische Hilfe: Es war ein Verbrechen, durch eine »Nur-für-Weiße«-Tür in Regierungsgebäuden zu gehen, ein Verbrechen, in einem »Nur-für-Weiße«-Bus zu fahren, ein Verbrechen, einen »Nur-für-Weiße«-Trinkbrunnen zu benutzen, ein Verbrechen, an einem »Nur-für-Weiße«-Strand spazierenzugehen, ein Verbrechen, kein Paßbuch bei sich zu haben, ein Verbrechen, in dem Buch die falsche Unterschrift zu haben, ein Verbrechen, arbeitslos zu sein, ein Verbrechen, nicht den richtigen Arbeitsplatz zu haben, ein Verbrechen, an bestimmten Orten zu leben, und ein Verbrechen, keinen Platz zum Leben zu haben.
Jede Woche befragten wir ausgemergelte alte Männer vom Land, die uns erzählten, daß ihre Familie Generation um Generation ein dürftiges Stück Land bearbeitet hatte, von dem sie jetzt vertrieben wurde. Jede Woche sprachen wir mit alten Frauen, die zur Aufbesserung ihres winzigen Einkommens afrikanisches Bier brauten und nun Gefängnis und Geldstrafen zu gewärtigen hatten, die sie nicht bezahlen konnten. Jede Woche kamen zu uns Menschen, die seit Jahrzehnten im selben Haus gewohnt hatten und jetzt feststellen mußten, daß es zum weißen Gebiet erklärt wurde und sie es ohne die mindeste Entschädigung verlassen mußten. Jeden Tag hörten und sahen wir die tausendfältigen Erniedrigungen, denen gewöhnliche Afrikaner tagtäglich
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