Der lange Weg zur Freiheit
bei den Afrikanders in Südafrika nicht der Fall. Gewaltloser passiver Widerstand ist so lange effektiv, wie der Gegner sich an dieselben Regeln hält wie man selbst. Trifft ein friedlicher Protest jedoch auf Gewalt, so ist seine Wirksamkeit zu Ende. Für mich war Gewaltlosigkeit kein moralisches Prinzip, sondern eine Strategie. Es liegt kein moralischer Wert in der Benutzung einer ineffektiven Waffe. Doch meine Gedanken zu diesen Fragen waren noch nicht abgeschlossen, und ich hatte zu früh gesprochen.
Auf jeden Fall war das die Ansicht des Nationalen Exekutivkomitees des ANC. Als es von meiner Rede erfuhr, wurde ich streng dafür gerügt, eine solche radikale Abwendung von der akzeptierten Politik zu befürworten. Obschon es in der Exekutive einige gab, die mit meinen Äußerungen sympathisierten, wollte jedoch keiner die zügellose Art gutheißen, in der ich sie gemacht hatte. Die Exekutive tadelte mich und merkte an, die impulsive Politik, die ich gefordert hatte, sei nicht nur verfrüht, sondern auch gefährlich. Solche Reden könnten den Feind dazu provozieren, die Organisation völlig zu zerschmettern, da der Feind stark sei und wir noch immer schwach. Ich akzeptierte die Kritik und verteidigte anschließend in der Öffentlichkeit getreulich die Politik der Gewaltlosigkeit. Aber im Innern wußte ich, daß Gewaltlosigkeit nicht die Antwort war.
Damals war ich mit der Exekutive oft überquer. Anfang 1953 wurden Häuptling Luthuli, Z. K. Matthews und eine Handvoll weiterer hochrangiger ANC-Führer zu einer Zusammenkunft mit einer Gruppe weißer Liberaler eingeladen, die damals dabei waren, die Liberal Party zu gründen. Danach fand ein Treffen der ANC-Exekutive statt, bei dem einige von uns um einen Bericht über die Zusammenkunft mit den weißen Liberalen baten. Die Anwesenden weigerten sich jedoch und erklärten, sie seien nicht als Mitglieder des ANC eingeladen worden, sondern als Privatleute, und das Treffen sei deshalb vertraulich. Doch wir fuhren fort, sie zu bedrängen, und wollten wissen, worüber gesprochen worden sei. Schließlich erwiderte Professor Matthews, der gleichfalls Anwalt war, es habe sich um ein privilegiertes Gespräch gehandelt, das durch das Gesetz geschützt sei. In einem Anfall von Empörung erklärte ich: »Was für Führer seid ihr, daß ihr mit einer Gruppe weißer Liberaler über Dinge diskutieren könnt und dann die Informationen nicht an eure Kollegen vom ANC weitergebt? Das ist das Problem mit euch, ihr habt Angst vor dem weißen Mann, der euch über die Maßen beeindruckt. Ihr schätzt seine Gesellschaft mehr als die eurer afrikanischen Genossen.«
Dieser Ausbruch rief den Zorn von Professor Matthews und von Häuptling Luthuli hervor. Zunächst antwortete Professor Matthews: »Mandela, was wissen Sie von den Weißen? Alles, was Sie von den Weißen wissen, haben Sie von mir, und Sie sind noch immer ein Ignorant. Selbst jetzt haben Sie Ihre Studentenuniform noch nicht richtig abgelegt.« Luthuli blieb kühl, wie kaltes Feuer. Er sagte: »Also gut, wenn Sie mich beschuldigen, vor dem weißen Mann Angst zu haben, dann bleibt mir keine andere Wahl als zurückzutreten. Wenn es das ist, was Sie sagen wollen, dann werde ich das auch tun.« Ich wußte nicht, ob Luthuli nur bluffte, doch seine Drohung erschreckte mich. Ich hatte überhastet und, ohne nachzudenken, gesprochen, ohne ein Gefühl der Verantwortung, und das bedauerte ich jetzt sehr. Ich nahm meine Vorwürfe auf der Stelle zurück und entschuldigte mich. Ich war ein junger Mann, der versuchte, seine Ignoranz durch Militanz wettzumachen.
Um etwa die gleiche Zeit teilte Walter mir mit, er sei als Ehrengast zu dem World Festival of Youth and Students for Peace (Welt-Jugend- und Studenten-Fest für Frieden) in Bukarest eingeladen worden. Der Zeitpunkt der Einladung ließ Walter praktisch keine Möglichkeit, mit dem Nationalen Exekutivkomitee Rücksprache zu halten. Ich war der Meinung, er solle unbedingt reisen, auch ohne Rücksprache, und ermutigte ihn dazu. Er faßte den Entschluß, und ich half ihm dabei, einen Ersatzpaß zu bekommen, ein Affidavit, das seine Identität und seine Staatsangehörigkeit bestätigte. (Die Regierung würde ihm niemals einen richtigen Paß ausgestellt haben.) Die Gruppe unter Leitung von Walter Sisulu Duma Nokwe flog mit der einzigen Fluggesellschaft, die bereit war, ein solches Affidavit zu akzeptieren: die israelische Fluggesellschaft El Al.
Trotz der Zurechtweisung von seiten der
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