Der langsame Tanz
dazusein.
3.
Sie verwandelte sein Geständnis, er sei verwirrt, nicht in eine Kapitulation. »Ach«, sagte sie, »ich weiß auch nicht. Ich hab nichts gegen die Bilder. Das bin nicht ich.
Das sind nur Fotos. Sag mal, der Wein hier, wie lang steht der schon offen ?«
Sie schlug vor, eine Flasche beim Portugiesen zu holen, und stand auf, noch bevor er hätte ja sagen können.
Das Lokal war leer, und sie setzten sich. »Hunger hab ich auch«, sagte sie.
Sie sah, wie er an seine Hosentasche faßte, und fügte rasch hinzu : »Nein, ich. Ich schulde dir ja was.«
Die Erwähnung seines Mißgeschicks machte ihn verlegen, und er fragte schnell nach ihrer Malerei. Er selbst glaubte, nichts von Kunst zu verstehen, aber ihr schienen seine Fragen zu gefallen. Sie redete, als hätte man ihr das bisher verboten. Das, dachte er, haben sie wohl alle gemein. Für Künstler ist die eigene Arbeit das Größte.
Sie sprach von Sensationen, die niemand entdecke, der nicht in den Spalt zwischen Wirklichkeit und Abbild eindringe. Sensationen für den Geist, für die Wahrnehmung, von ihr aus auch für die Sinnlichkeit, wenn er das so besser verstehe.
»Ich verstehs auch bloß mit Geist«, warf er ein, aber er erntete nur einen flüchtig-irritierten Blick, ohne daß ihr Vortrag ins Stocken geraten wäre. Energie, erklärte sie, freischwebende Kraft und Lust gebe es, die man nur aus der Luft zu greifen brauche, um sie in diesem Zwischenraum wieder freizulassen. Dort finde alles, was Kunst bedeute, statt. Das Abbild alleine sei nichts ohne diesen Unterschied zum Original, und nicht die Summe beider ergäbe ein Kunstwerk, sondern der Platz zwischen ihnen. Oder vielmehr das, was sich an diesem Platz befinde.
Humor hat sie wohl keinen, dachte er und sagte : »Komisch, daß ich von dir ein Abbild eher kannte als die Wirklichkeit und jetzt geneigt bin, dich für das Kunstwerk zu halten.«
Sie sah ihn ebenso irritiert an wie vorher, nur weniger flüchtig, und schüttelte verständnislos den Kopf : »Die Fotos ? Meinst du die ?«
»Mhm.«
»Quatsch. Ich bin die Wirklichkeit. Die Fotos sind gar nichts. Und zwischendrin ist auch bloß Schminke, Geräkel und ein Fotograf, der mich rumkommandiert.
Da ist gar nichts. Und ich gefalle mir ja nur, weil ich eine Fälschung bin.«
Kein Humor. Wie befürchtet. Vielleicht aber auch nur nicht bei diesem Thema. Ein andermal, nahm er sich vor, würde er es genauer wissen wollen. »Mir gefallen beide Versionen«, sagte er versöhnlich, »die Fälschung und das Original.«
Für ihn war das, was sie da redete, Künstlerlatein, wie er es schon manchmal belauscht und belächelt hatte, aber das änderte nichts an seiner Faszination. Woher die rührte, war ihm selbst noch nicht klar. Von ihren Augen, die nie stillstanden, sich immer wieder neue Haltepunkte suchten, um unverzüglich wieder ungefesselt weiterzuspringen, von ihrer Stimme, die, so leise sie sprach, etwas Sicheres, Kompaktes und Eindringliches hatte ? Oder war es der Körper, den er schon so viel besser kannte ? So zudringlich, herrisch und verlegen unterwürfig, wie ein Playboybetrachter die Körper nackter Frauen kennt. Ja, er sah sie nackt. Der weite schwarze Pullover und die formlos plumpe Hose konnten ihre Nacktheit vor ihm nicht mehr verbergen. Eher waren sie so was wie ein Schmuck ihrer Blöße, ein Vorhang, durch den hindurchzudenken den Reiz des Bildes noch verstärkt. Aber vielleicht rührte diese Faszination auch von woanders her. Warum nicht von der Zutraulichkeit, mit der sie ihm begegnete ? Oder ihren Fingerspitzen an seinen Knien ? Wann war das gewesen ? Erst heute morgen ?
Sonderliches Interesse an dem, was er zu erzählen gehabt hätte, war ihr nicht anzumerken. Wie aufgezogen sprach sie von sich und ihrer Kunst und ihren Plänen.
Was immer er einwarf, diente ihr nur als Stichwort, und nie nahm sie eines seiner Angebote wahr. Die Leidenschaft aber, mit der sie sprach, diese Überzeugung, an der Rampe zu einer weiten Flugbahn ins Leben zu stehen und demnächst einen großen Bogen zu beschreiben, war so einnehmend, daß ihre Erregung sich auf ihn übertrug und er ihr nicht nur glaubte, sondern Feuer und Flamme für sie war.
»Schau, ich bin in Sicherheit«, sagte sie. »Ich leide nicht.
Es ist alles in meiner Hand, solang ich male.«
»Kein Leiden ?« fragte er.
»Keins.«
Das war Unsinn. Aber vielleicht log sie, ohne es zu wissen. Sie mußte es nicht unbedingt entdecken, sie hatte die Kunst zwischen sich und der Welt,
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