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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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durchschneiden, so daß die nassen Zweige glitzern, findet sich Martin wenig später an einen Papierkorb gelehnt, wo er dem Impuls, sich zu krümmen, widersteht, weil ihm eine Trauer durch die Eingeweide rast, die nicht zu unterscheiden ist von körperlichem Schmerz. Vom Zwerchfell bis in die Knie breitet sich eine Schwäche aus, die sich anfühlt wie eine Gliederfüllung nasser Watte.
    Er steht fassungslos und wartet.
     
    *
     
    Langsam läßt das Gefühl nach, ohne daß sich irgendein Bild oder Gedanke dazu eingefunden hätte. Er probiert verschiedene Anblicke in seinem Innern, um zu sehen, ob einer zu dem Schmerz paßt. Anne ? Nein. Heimweh ? Er weiß, daß Heimweh sich so bemerkbar machen kann, aber als er den Blick aus dem Küchenfenster auf die kleine Gasse an der Grindelallee heraufbeschwört, rührt sich nichts. Kein Heimweh also. Er stößt sich vom Papierkorb ab und geht. Die Schwäche ist noch da, und wie bei einer schweren Melancholie ist ihm alle paar Schritte zumut nach einem abgrundtiefen Seufzer.

2.
     
    Direkt aus dem Aktsaal ging er ins Büro der Sekretärin und kündigte. Unauffällig versuchte er, die von der eingesteckten Unterhose ausgebeulte Jackentasche flacher zu klopfen. Es ging nicht. Auf die erstaunten Fragen der Sekretärin antwortete er ausweichend und allgemein, nannte private Gründe und sah aus dem Fenster. »Schade«, sagte sie und gab ihm sein letztes Honorar.
    Sie hatte recht, es war schade. Schade um das Geld und schade um die stillen Stunden, die er nun nicht mehr im Zeichensaal verträumen konnte, schade um das Schweigen der Zeichnenden, das Rascheln ihrer Blätter, das Scharren und Reiben der Stifte und Kreiden. Und schade vor allem um die Verbindung, die er manchmal zwischen sich und den rings um ihn Gruppierten zu fühlen geglaubt hatte. Aber schade hin oder her, mit einer Erektion sitzt man nicht Modell. Und jetzt, da es einmal fast geschehen war, konnte er nie mehr sicher sein. Er brauchte sich nur davor zu fürchten. Und das würde er. Das stand fest.
     
    *
     
    Am Abend stand sie vor seiner Tür. In der Hand zwei Dosen Bier und eine große Margerite, deren Blüte noch nicht vollständig aufgegangen war.
    »Was ist denn das ?« fragte er, noch bevor er richtig erstaunt sein konnte.
    »Blume«, sagte sie und drängte sich in den Türspalt wie ein Vertreter, der den Moment der Unsicherheit nicht verpassen will, in dem seine einzige Chance auf Einlaß besteht.
    Verblüfft ließ er sie vorbei. Sie betrat die Wohnung, drehte sich einmal um die eigene Achse und stellte dann die Bierdosen auf dem Tisch ab. Im Vorübergehen hatte sie ihm die Blume gegeben, und er hielt sie automatisch an die Nase. »Die stinkt«, sagte er.
    »Das tut man als Margerite. Das ist ihre Art, sich zu wehren. Statt Dornen vielleicht.«
    »Ich trinke kein Bier.«
    »Ich schaff auch zwei. Krieg ich ein Glas, oder sagst du mir, wo die Küche ist ?«
    Er nahm Gläser aus dem Schrank und eine halbvolle Flasche Rotwein, während sie den Fernseher ausschaltete, vom Tisch hob und in eine freie Zimmerecke stellte.
    In dem Stapel Zeitschriften, den er aufnahm, um ihn irgendwo zu verstauen, lag auch ein Playboy, und er hoffte, sie möge den Titel nicht erkennen, aber sie sagte »Ach, na so was«, fiel ihm in den Arm, zog das Heft, ausgerechnet dieses, heraus, blätterte darin und legte es ihm aufgeschlagen hin. Da war sie ! Auf zwei Doppelseiten ! Nackt, halbnackt, bis fast zur Unkenntlichkeit frisiert, geschminkt und in harmlos-koketten Posen erstarrt. Natürlich kannte er die Bilder. Aber sie hätte er niemals erkannt. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
    »Und«, fragte sie leichthin, »bist du ein Verehrer von mir ?«
    Er stotterte und hätte nichts lieber getan, als diese Bilder gleich gründlich zu studieren. »Nein«, sagte er und suchte nach weiteren Worten. »Also doch, natürlich, ich hab dich nicht erkannt. Im Zeichensaal, mein ich.«
    »Ich erkenn mich auch nicht auf den Bildern«, sagte sie und schlug eine Seite um, »aber ich gefalle mir. Hier, auf dem da gefall ich mir gut.«
    Jetzt mußte er hinsehen, und sein Kopf kam ihrem so nah, daß er glaubte, den Geruch ihrer Haare einzuatmen.
    Sicher war er nicht, denn sein Gesicht war heiß und er vielleicht zu durcheinander, um Sinnesbotschaften eindeutig wahrzunehmen. »Hm«, sagte er nur.
    Sie knuffte ihn in die Seite und sagte : »Du bist ja verlegen.« Dann schlug sie das Heft zu und legte es auf den Zeitschriftenstapel, den er noch immer in den

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