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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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sie einander mit gesenkten Köpfen ausgewichen, ängstlich darauf bedacht, daß ihre Körper nichts von dem einlösten, was die Augen längst verabredet hatten. Nun hakte sich Anne hin und wieder bei ihm unter, strich ihm wie beim ersten Abschied mit der Fingerspitze über die empfindliche Haut hinterm Ohr oder knuffte und schubste ihn, wenn er versuchte, sie zum Lachen zu bringen. Daß er sie je für humorlos hatte halten können, stritt er mittlerweile vor sich selber rundweg ab.
    »Kannst auch hier schlafen«, sagte sie eines Abends, als er sich müde auf den Heimweg machen wollte. Er hatte vier Seiten ihrer Arbeit getippt, nachdem sie sich die Haare raufend und heulend wie ein mondsüchtiger Hund vor Verzweiflung über das komplizierte Schreib-programm aufs Bett geworfen hatte.
    Er legte sich zu ihr und achtete darauf, sie nicht zu berühren. Nach kurzer Zeit war sie eingeschlafen. Er lag noch lange wach und zählte die huschenden Lichter vorbeifahrender Autos an der Zimmerdecke.
     
    *
     
    »Du beklaust mich schon wieder !« Er zog die Decke über sich und wollte weiterschlafen, aber Anne, die ohne zu antworten ihren Zeichenblock hingelegt hatte, ging in die Küche und machte Kaffee. Der Geruch stieg ihm in die Nase und weckte ihn erneut, als er gerade wieder wegdämmern wollte.
    »Ärgert dich das immer noch, wenn ich dich im Schlaf zeichne ?«
    »Nein, aber ich friere immer noch.«
    »Du könntest hier einziehen.«
     
    *
     
    Wenn er nicht die meiste Zeit mit Gedanken an Anne zugebracht hätte, wäre Martin in diesen Tagen zum leidenschaftlichen Taxifahrer geworden. Er war stolz auf jede Strecke, die er ohne Blick in den Stadtplan fand, fing Gespräche mit den netteren Fahrgästen an, mischte sich sogar hin und wieder vorlaut in die albernen Dispute über Funk, mit denen die Frau in der Zentrale aus der Fassung gebracht werden sollte, und duckte sich nicht einmal mehr, wenn arrogante oder gewalttätig wirkende Leute seinen Wagen bestiegen.
    Gerade weil er nicht ganz da war, gerade weil Anne fünfundneunzig Prozent seiner Aufmerksamkeit band, ging er mit den restlichen fünf spielerisch und großzügig um und staunte über seine täglich wachsende Souveränität.
    Wann zieht sie sich endlich wieder für mich aus, dachte er manchmal, wenn ihn irgend etwas an einer Schülerin, die er vom Tennis nach Hause fuhr, oder einer Passantin, die vor ihm die Straße überquerte, an Anne erinnerte, und dann spürte er sich lächeln, denn er wußte ja, daß er sich für sie auszog. Aber das war so unwichtig wie bei jedem guten Tausch. Er vergaß, was er gab, und war besessen von dem, was er begehrte.
     
    *
     
    Er gab seine Wohnung auf und zog bei ihr ein. Er tippte ihre Arbeit, während sie nach den Skizzen aquarellierte. Draußen vor der Tür hätte ebensogut eine Klein-stadt, ein Dorf oder auch nur ein Weiler liegen können.
    Hamburg, dessen Struktur Martin mit jedem Tag ein bißchen besser kennenlernte, war nur eine riesengroße Arbeitsstelle für ihn. Das Leben war hier in der kleinen Zweizimmerwohnung, Durchschnitt Nummer zehn ; es hatte den Klang einer Computertastatur und kleiner Brummlaute der Konzentration, die Anne beim Malen von sich gab, und es roch nach Kaffee, Petersilie, Terpentin und Fixativ.
    Für einen Betrachter hätten sie beide wohl den Anblick eines Ehepaares geboten, das geruhsam einem angenehmen Zeitvertreib nachgeht und nichts mehr zu besprechen hat. In gewissem Sinne war es auch so, nur daß Martin über vieles hätte reden mögen, wäre ihm nicht klargewesen, daß Anne das nicht wollte.
    Immer wieder in der letzten Zeit hatte er behutsame Vorstöße unternommen, aber noch nicht einmal mit der Frage nach der Stadt, aus der sie kam, war mehr aus ihr herauszubekommen als ein abweisendes : »Das ist schon so lang her.«
    Und geruhsam fühlte er sich nicht im geringsten.
    Eher so, als säße er im Auge eines Orkans, dessen erste Verheerungen schon über ihn gekommen waren. Er wartete.

41.
     
    Rudi ist sofort einverstanden, als Martin ihm vorschlägt, noch einmal nach Hamburg zu fahren. »Das paßt«, sagt er, »ich bring die Uhren nach London zu Christie’s.«
    »Es geht um eine rote Mappe. Die will ich haben. Alles Aquarelle und alle obszön.«
    »Obszön ?«
    »Ja. Sie wird sie dir nicht von selber zeigen. Du mußt irgendwie tricksen. Sag ihr irgendwas wie : Du hättest Sammler von Erotika, die Bilder von ihr gekauft hätten und fragten, ob es auch schärfere Sachen von ihr gäbe.
    Oder du

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